Weinzirl 03 - Kuhhandel
der Via Spluga, einem Weitwanderweg in Graubünden,
erlebt hatte.
In Haller
schlenderte Laszlo Richtung See, und sie schlenderte hinterher. Mondlicht lag
über dem Wasser und eine Luft, die man schmecken, fühlen und riechen konnte.
Sie setzten sich ans Ufer und sahen den Wellen zu.
»Die Wellen müssen
wohl jemanden haben, der sie an die Hand nimmt, so eilig wie sie es haben und
so vertrauensvoll, wie sie zurücklaufen«, sagte Laszlo. Dann sagte er nochmals
»Gyere«, nahm Jo bei der Hand, und sie folgte ihm zu seinem Auto, einem Seat
mit ungarischem Kennzeichen. Sie fuhren zurück zum Hotel. In Laszlos Dachkammer
im Mitarbeitertrakt war es sehr heiß, aber ein lauer, sachter Wind bewegte die
Vorhänge.
»Das Leben ist nicht
fair«, sagte Laszlo und streichelte vorsichtig Jos Gesicht. »Es wird nie fair
sein. Manche leiden mehr darunter. Du leidest weniger für dich als für andere.
Du zeigst so viel Stärke nach außen. Hast du jemanden, wo du auch mal schwach
sein kannst?«
Jo war betroffen.
Laszlo kannte sie gerade mal einige Stunden, wieso sagte er so was? Er schaute
sie immer noch fragend an.
»Manchmal, selten
…«, murmelte Jo.
»Dann ist heute
manchmal«, sagte er und begann sanft ihren Nacken zu massieren. »Gib nach, du
drückst dagegen. Du stemmst dich viel zu sehr gegen das Leben.« Und als sein
kreisender Daumen über ihre Wirbelsäule tiefer wanderte, gab sie auf.
Als Jo gegen fünf
Uhr aufwachte, hatte sie so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Laszlo
lag auf dem Bauch, nur mit einem Laken zugedeckt, und atmete gleichmäßig. Und
auf einmal war ihr unwohl. Sie hatten kein Wort geredet, und da lag nun dieser
schöne, sanfte, schweigende Mann, und Jo fühlte eine Beklemmung. Was störte sie
denn? Koketterie von der üblen Sorte: Na, wie war ich denn? Oder diese lästigen
Gedankenteufelchen: Ob er dachte, dass sie mit ihm geschlafen hatte, weil sie
ihn damit ködern wollte, Ostheimers PC zu knacken. Wieso hatte sie solche Gedanken, und was wollte sie eigentlich über
ihn wissen? Welche Hobbys er hat. Ob er ein Instrument spielt, unter welchem
Sternzeichen er geboren ist und wie er so lebt. Freundin, Verlobte, Frau in
seiner fernen Heimat. Sein Vorleben und ob sie heute Abend zusammen essen gehen
würden. Dabei hatte sie einige Stunden ganz ohne ihre Ratio überlebt. Er hatte
schon Recht: Sie stemmte sich viel zu sehr gegen das Leben.
Laszlo schlug die
Augen auf, stützte sich auf seinen Ellenbogen und lächelte sie an. Er hatte ein
Grübchen am Kinn. Sein langer Oberkörper war glatt rasiert, der Oberkörper
eines Schwimmers. Er küsste sie ganz sanft auf die Stirn und ging zu einem
Vorhang in der Dachschräge. Seine Beine waren lang, sein Po fest, seinen Hüften
extrem schmal im Verhältnis zu seinem breiten Rücken. Hatte Banjo nicht auch
etwas von einem ungarischen Studentenmeister im Schwimmen gesagt? Laszlo
hantierte ein wenig herum und kam dann wieder retour mit zwei kleinen Tassen
rabenschwarzen Kaffees.
Jo hatte sich
aufgesetzt, die Decke fast unters Kinn geklemmt. Er war so schön, ein Adonis,
ein Gott! Sie kam sich so unzulänglich vor und zog unwillkürlich den Bauch ein.
Und sie musste an Svenja denken, die ihr einmal die Vorzüge des Vierzig-Seins
erklärt hatte: »Du kannst dir einen Lover suchen, der fünfundzwanzig ist,
knackig und ein bisschen aufgeregt, oder einen von fünfundfünfzig, nicht mehr
so knackig, aber sehr behutsam. Das ist perfekt.« Svenja, die allem etwas Positives
hatte abgewinnen können. Die tot sein sollte. Jo wurde das Schweigen
unerträglich.
»Laszlo, ich …
Nicht, dass du jetzt meinst, ich hätte wegen Svenja …«, stammelte sie.
Laszlo legte ihr
einen Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf ganz sachte. Der Finger
verhakte sich in der Decke und zog sie herunter. Jo schloss die Augen.
Als sie in sein Auto
stiegen, war es sechs Uhr. Er fuhr sie zu ihrem Wagen, und als sie ausstieg,
war da wieder dieser weiche Blick, der ihr die Berechtigung zum Leben verlieh.
Er hatte noch immer kein einziges Wort gesprochen. Kurz bevor sie die Tür
zuschlug, beugte er sich über den Beifahrersitz.
»Heute Nacht um halb
zwei am Haus des Gastes. Es ist eine gute Nacht. Die von Sonntag auf Montag.
Die Menschen gehen früher zu Bett als am Wochenende. Zwei ist eine gute Zeit,
aber wir müssen spätestens um halb vier wieder weg sein. Schlaflose wachen da
auf, Schichtarbeiter womöglich auch schon, Bäcker und Bauern. Trag Turnschuhe
und was
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