Weinzirl 03 - Kuhhandel
das recht ist?« Frau Ostheimers Augen
waren weit aufgerissen.
»Natürlich, danke,
ich …« Gerhard wurde durch sein Handy unterbrochen. Markus Holzapfel, ein
Mitarbeiter im Büro, gab ein erstes Ergebnis der Obduktion durch. Die Leiche
war gestern noch nach München verbracht worden, und nun erreichte Gerhard eine
erste Einschätzung aus der Pathologie. Die Fingerabdrücke auf der Spritze waren
die Svenjas, die Todesursache war eindeutig Euthanyl Forte gewesen. Die blauen
Flecken waren älteren Datums, es gab nichts, was auf Gewalteinwirkung
hindeutete. Die Blicke der drei anderen hingen an Gerhard, und er sah keine
Veranlassung, das eben Gehörte zu verschweigen.
»Und die Beerdigung?
Wir würden das gerne übernehmen, nicht wahr, Karl?«, fragte Frau Ostheimer.
Gerhard lächelte ihr
zu. »Das wäre schön. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn die Leiche freigegeben ist.
Äh, noch eine Frage: Wieso ein Suizid in der Ruine?«
Ostheimer hatte bis
dato fast unbeteiligt dagestanden. Jetzt durchschnitt seine kräftige Stimme den
Raum.
»Sie mochte diese
Ruine sehr. Sie ist da öfter mal in der Mittagspause hin. Ach, Herr Weinzirl.
Ich wirke auf Sie vielleicht etwas trampelig, aber mir geht das sehr nahe.
Sehr! Ich habe doch letztlich versagt. Wir waren fachlich öfter mal
unterschiedlicher Meinung, aber sie war eine sehr gute Ärztin. Ich hätte mehr
auf die Nuancen achten sollen. Aber da bin ich nicht so gut.« Er sagte das mit
einem vorsichtigen Blick auf seine Frau.
»Die Ruine?« Frau
Ostheimer mischte sich ein. »Das wusste ich gar nicht! Das ist das Tragische: Man glaubt, einen Menschen zu kennen, und dann spürt man, dass noch so viele
Dinge unausgesprochen geblieben sind«, sagte sie so tieftraurig, als gäbe es
nie wieder eine Chance, dem Dunkel zu entfliehen. Und erneut drückte Ostheimer
ungeschlacht ihre Hand.
»Und nun?«, fragte
Evi, als sie draußen waren.
»Nun wird ein Mal
ein ganz normales Wochenende stattfinden. Ich werde eine Zweitagestour von
Oberstdorf nach Warth machen. Nur mein Bike und ich.« Und als er es
ausgesprochen hatte, spürte er schon, wie das auf Evi wirken musste. Nur mein
Bike und ich.
»Na, dann viel Spaß
in dieser trauten Zweisamkeit!«, rotzte ihm Evi noch hin, und das war auch das
Letzte, was sie bis Feierabend mit ihm redete.
3
Jo war am Samstag um
7 Uhr 30 aufgewacht. Sie angelte mit den Zehen nach ihren Walk-Pantoffeln,
schlüpfte schlaftrunken hinein und schrie auf. Etwas Metallisches bohrte sich
in ihre Zehen.
»Bianchi, du
Unglücksweib!«, fluchte sie.
Bianchi hatte nun
mal den ihr tief innewohnenden Auftrag, sämtliche Kronkorken und
Mineralwasser-Schraubverschlüsse in Schuhe einzuarbeiten. Und da Jo Flaschen
nie akkurat verschloss, popelte sie die Deckel runter und kam ihrer Sendung
nach. Jetzt saß sie im Türrahmen und schaute Jo hochinteressiert zu. Die
riesigen grünen Augen kugelrund, ein hinreißendes Babyface, dem man nicht böse
sein konnte. Jo bewarf sie mit dem Verschluss, den Bianchi begeistert durch den
Gang trieb, und dann trat sie so »geschickt« auf die Kante des Wassernapfs,
dass er hochschoss und den Gang überflutete.
Nachdem Jo
aufgewischt hatte, endlich am Küchentisch saß und Bianchi ihre nassen Pfoten
überaus beleidigt geputzt hatte, kehrte langsam Ruhe ein. Jo bekämpfte die
Zeitung mehr, als dass sie vernünftig umgeblättert hätte. Das Allgäuer
Anzeigenblatt war binnen Minuten zerfleddert. Jo überflog die Seiten, als ihr
der Polizeibericht ins Auge stach. Eine kurze Meldung besagte, dass eine
einundvierzigjährige Tierärztin aus Pfronten tot in Eisenberg aufgefunden
worden war.
Svenja? Jo zuckte
zusammen. Ihr erster Impuls war es, Gerhard anzurufen. Als sie Handynummer halb
gewählt hatte, ließ sie das Telefon sinken und legte es auf den Tisch zurück.
Sie hatte Gerhard seit bald sechs Monaten nicht gesehen. Ihre alte Freundin
Andrea, die in Berlin lebte, hatte ihr verklickert, dass Gerhard wenig Wert auf
Anrufe legen würde. Und auch Andrea selbst war unterkühlt und sachlich gewesen.
Wie bei der Vermittlung eines Versicherungsvertrags – nicht wie uralte
Freundinnen. Natürlich wusste Jo, dass es unfair gewesen war, drei Monate
einfach zu verschwinden. Hätten ihre Freunde nicht verstehen müssen, wie
wichtig ihre Auszeit gewesen war? Sie hatte immerhin ihre Tiere im Stich
gelassen und Resi Gschwendtner anvertraut. Für Jo war das so, als hätte sie
ihre Kinder zur Adoption freigegeben. Das hätte Andrea doch spüren
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