Weiskerns Nachlass
Bad verschwinden oder sich rasch unter einer Decke verstecken, um ihrem spöttischen Blick, frechen Kommentar zu entgehen. Sie würden sich lieben, doch den nackten Körper zu präsentieren, völlig unbefangen durch das Zimmer zu gehen, das wird dann wohl der Vergangenheit angehören, für immer. Er wäre begierig, sie zu betrachten, ihr nachzusehen, wenn sie durchsZimmer lief, sich im Bad wusch, auf der Klobrille hockte. Und er würde alles tun, um zu vermeiden, dass auch sie ihn außerhalb des Bettes nackt zu sehen bekam. Er würde es vermeiden, ohne dass es ihr auffiel, jedenfalls hoffte er das. Keinesfalls sollte das Mädchen, wer immer es sein würde, bemerken, dass er sich verbarg, seine Blöße bedeckt hielt. Denn die zu verdeckende Blöße, das wäre dann nicht mehr nur jener kleine Zipfel zwischen den Beinen, das wäre der gesamte Körper, Bauch und Rücken, Kopf und Beine. Mit einer Hand, mit einem Feigenblatt ist das nicht zu verdecken, da braucht es einen dicken Bademantel, in den man sich, Kälte vorschützend, wickelt. Und in diesem befürchteten Monat, an diesem Tag, der ihm die Tür in seine verbliebene Zukunft wies, ins Aus, ins Nichts, würde er überrascht und beschämt feststellen müssen, dass er zur Liebe nicht mehr fähig war, dass ihn das Alter impotent gemacht hatte. Vermutlich würde er noch begehren, würde seine Hand ausstrecken, um eine fremde Haut zu streicheln, nach einem Körper zu greifen, eine weibliche Brust zu umfassen, einen Frauenschenkel zu berühren, aber alles bliebe folgenlos. Ein Tag einer völlig neuen Peinlichkeit. Er würde vermutlich die Frau erregen, vielleicht wäre er auch selbst erregt, aber bei ihm würde sich nichts mehr rühren. Eine Erregung im Kopf, in der Fantasie, unbrauchbar, nutzlos, folgenlos, lächerlich. Ein lächerlicher Mann, das wäre er, und vermutlich würde die Frau auch lachen, mitleidig, boshaft, verärgert. Er würde dann irgendetwas zu erklären versuchen, was keiner Erklärung bedurfte. Er würde etwas vorschützen, von irgendeinem Problem reden, das ihn unablässig beschäftigte und ablenkte, einer beruflichen Überanstrengung,einer familiären Sorge. Dann würde er ins Bad gehen, die Tür schließen und in den Spiegel schauen, um sich von sich selbst zu verabschieden. Vielleicht würde er sich noch einen weiteren Versuch zugestehen oder es immer wieder erproben, weil er es nicht glauben wollte. Er würde sich sorgsam für das weitere Experiment vorbereiten, für die Stunde seiner männlichen Bestätigung oder für die endgültige Erkenntnis seines Zustands, seines Alters. Er würde zuvor jeden Stress vermeiden, nicht zu viel essen, keinesfalls etwas trinken. Den Körper etwas mehr und etwas sorgfältiger pflegen, um die kleinen Defizite, die Fettpolster zu übertünchen. Vielleicht würde er sich gar entsprechende Zeitschriften kaufen, um sich anzuregen, oder mit seinem Hausarzt reden und sich ein Medikament empfehlen lassen. Aber falls er erfolglos bleibt, wenn all seine Bemühungen immer wieder in Peinlichkeiten enden, dann wird er aufgeben, endgültig und hoffentlich für immer. Rüdiger Stolzenburg verlässt die Matte, gibt auf, zieht sich für alle Zeiten an den Rand des Spielfelds zurück. Und er wird hoffen, keine neuen Dummheiten zu machen, nicht mehr das Blut in den Ohren, durch den Körper rauschen zu hören. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Vielleicht meinten die Kirchenväter ebendiese Verführung, den Trieb, den Sex, die Gier auf die andere Haut, das fremde Fleisch. Es waren vermutlich gleichfalls ältere Herren, die diese Gebote und Gebete verfasst hatten, und vermutlich steckte auch in ihnen der alte Stachel aus dem Paradies oder der Hölle.
Dumme Aussichten, aber die einzigen, die er hat. Nicht heute und morgen, aber bald. Ein paar Jahre, die man noch ein Mann ist. Und dann? Was ist mandann? Ein Neutrum? Ein geschlechtsloses Wesen? Man wird der Umgebung auf den Wecker fallen, der Freundin, der Tochter, den Krankenschwestern, den Ärzten, das gewiss. Man wird sich möglicherweise auf das Essen konzentrieren. Falls die Geschmacksnerven nicht auch zum Teufel gegangen sind und es völlig einerlei ist, was er sich kocht, was man ihm hinstellt. Oder man wird zum Liebhaber der Natur. Genießt den Gesang der Vögel, erfreut sich an den Bäumen, dem neu aufbrechenden Grün, an den Spaziergängen. Vielleicht auch an den jungen Menschen? An den jungen Mädchen? Platonisch. Ganz selbstlos,
Weitere Kostenlose Bücher