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Weiskerns Nachlass

Weiskerns Nachlass

Titel: Weiskerns Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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hinaus Forderungen zu stellen. Was konnte er dagegen bieten? Weniger Annehmlichkeiten und ein ständiges Sich-über-den-Weg-Laufen, denn selbst wenn jeder von ihnen seine Wohnung beibehielt, würde man sich zwangsläufig im Institut sehen. Damals hatte er genickt und gelacht und ihr die Hand geküsst.
    Stolzenburg steht bereits an der Tür, als er sich nochmals zu Marion umdreht. Sie lächelt ihm zu, selbstsicher und ironisch, lächelt für einen Augenblick, den Bruchteil einer Sekunde, für einen winzigen Moment, in dem die ganze Welt steckt. Ja, das wär’s, sagt er sich, das könnte es sein, und er weiß nicht genau, was er meint und denkt, und will es gar nicht wissen, nicht in diesem Moment. Er spürt, dass er rot wird. Verlegen nickt er und verlässt den Raum.
    Als er das Treppenhaus erreicht, kommt ihm Manfred Krupfer entgegen. Ein Kollege mit einer vollen Stelle, Theorie der Kommunikation, was immer sich dahinter verbarg. Vor sieben Jahren hatte Stolzenburg bei einer Leitungssitzung erklärt, er stehe als Beisitzer in den Prüfungen, die Krupfer abnehme, nicht länger zur Verfügung. Er hatte, da Schlösser empört protestierte, seine Entscheidung wortreich begründen müssen, hatte seine Unkenntnis dieses Gebiets, seine mangelnde Qualifikation in Sachen kommunikative Theorien vorgeschützt und war zufrieden, dass es ihm bei seinen Bemerkungen zu Krupfer und über dessen Fach gelungen war, das Wort Geschwätz zu vermeiden, aber seine wahre Meinung über den Kollegen und dessen Theorien war trotzdem für alle im Sitzungszimmer versammelten Institutsmitarbeiter deutlich geworden. Krupfer und er redeten seit dem Tag nicht mehr miteinander, hatten sich seit sieben Jahren auf die unumgänglichsten Absprachen beschränkt, kühl, knapp, feindselig, doch in den vielen Jahren hatte zwischen ihnen kein einziges Gespräch mehr stattgefunden. Man ging sich aus dem Weg, was in einem so kleinen Institut und über einen so langen Zeitraum schwierig war und die Atmosphäre belastete.Schlösser hatte sie wiederholt in sein Zimmer gebeten, sie ermahnt und ein Mindestmaß an Kollegialität von ihnen verlangt, da unter ihrem Zwist die Arbeit leide und das Klima alle Mitarbeiter belaste. Krupfer und Stolzenburg hörten sich die Ermahnung schweigend an und äußerten in seltener Gemeinsamkeit ihr Unverständnis für Schlössers Klage, versprachen dennoch, wenngleich sehr vage, sich um ein besseres Verhältnis zu bemühen.
    Es änderte sich nichts oder wenig, da fortan beide noch weniger miteinander sprachen und die gelegentlich unumgänglichen Absprachen über die Nutzung von Seminarräumen, über Stundenpläne und Prüfungszeiten nach Möglichkeit durch Dritte tätigten.
    Stolzenburg verachtete Krupfer aus ganzem Herzen. Er verachtete dessen Lehrfach, seine Person, sein ganzes Auftreten und vor allem seinen Umgang mit den Studenten oder vielmehr mit den Studentinnen. Es war ein offenes Geheimnis am Institut, dass Krupfer käuflich ist. Für Studentinnen käuflich. Gute Noten gegen Beischlaf. Manfred Krupfer mit seinem pockennarbigen, rötlichen Gesicht und der Hühnerbrust, dieser unansehnliche Krupfer, der nie eine Frau bezaubern oder verführen könnte, gab seit Jahren oder Jahrzehnten all jenen Studentinnen, die zu dumm oder zu faul waren, gute oder ausreichende Abschlussnoten, wenn sie sich bereitfanden, mit ihm ins Bett zu gehen. Ein offenes Geheimnis. Die Studenten redeten darüber, die Jungen jedenfalls. Die Mädchen teilten es sich flüsternd und kichernd mit, und alle hatten Vermutungen, wer von ihnen mit dem unsäglichen Krupfer ins Bett hüpfte.
    Im Lehrkörper weiß man darum oder ahnt es, doch esist ein heikles Thema, bei dem man sich die Finger verbrennen kann. Zudem gibt es keine Beweise und wird es nie welche geben, denn keine der krupferwilligen jungen Damen wird bereit sein, den Dozenten zu beschuldigen. Im gleichen Moment wäre ihre Abschlussnote keinen Pfifferling mehr wert, und im günstigsten Fall hätte sie die Prüfung zu wiederholen, diesmal allein mit dem niedlichen Köpfchen und ohne Ganzkörpereinsatz, vielleicht aber würde die Uni das erpresste und gewährte Schäferstündchen als Betrug beider Beteiligter werten und das Mädchen exmatrikulieren. Es wird daher nie eine Zeugin gegen Krupfer auftreten, das weiß dieses Ekel, und er wäre gezwungen, gegen Gerüchte, falls irgendjemand der Kollegen darüber sprechen sollte, juristisch vorzugehen, um die Karriere und den Verbleib am Lehrstuhl nicht zu

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