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Weiß (German Edition)

Weiß (German Edition)

Titel: Weiß (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harper Ames
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ihre Zigarette hielt, fuhr wild gestikulierend durch die Luft. Sie schien sich in Rage zu reden. „Ich an deiner Stelle würde diese Typen büßen lassen! Solche Mistkerle kann man doch nicht einfach davonkommen lassen! Ich finde echt, wenn dir das nächste Mal einer dumm kommt, solltest du ihn genauso bluten lassen.“
    Erregung erfasste Lewin. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann ihm das letzte Mal jemand so leidenschaftlich zugesprochen hatte, wann jemand das letzte Mal auf seiner Seite gewesen war und ihn unterstützt hatte. Sein Herz schlug schnell. Er hatte keine Ahnung, warum sie sich so für ihn einsetzte. Sie hatte ihn doch vor wenigen Minuten das erste Mal gesehen. Sie wusste nichts von ihm und er nichts von ihr. Trotzdem fühlte er sich in ihrer Gegenwart wohl. Er hatte das unbestimmte Gefühl, ihr vertrauen zu können. So als würde er sie schon ewig kennen. Vielleicht lag es daran, dass er instinktiv wusste, wie richtig sie mit dem, was sie sagte, lag. Er hatte sich viel zu lange alles gefallen lassen, hatte sich herumschubsen lassen und langsam den Gedanken entwickelt, dass ihm das alles zu Recht widerfuhr. Damit musste Schluss sein. Ansonsten würde es wohl für den Rest dieses Lebens so weitergehen.
    Lewin atmete tief ein und hob den Blick. Das Mädchen lächelte, als hätte er seine Gedanken laut ausgesprochen.
    „Ich hab auf einem der Plakate dort draußen gelesen, dass heute Abend ein Konzert hier in irgendeinem Schuppen ist. Hast du Lust mit mir dort hinzugehen?“ fragte sie.
    Lewin schluckte. „Im Bus. Das ist eine kleine Kneipe ein paar Straßen weiter.“ Er zögerte einen Augenblick und schüttelte dann den Kopf. „Ich kann da nicht hingehen. Ich war dort seit Ewigkeiten nicht mehr und die werden alle dort sein.“
    Lewin stand jetzt auf und hielt dabei den Kopf zu Boden gesenkt. Er schämte sich und zuckte zusammen, als das Mädchen ihre kühle Hand auf seine Schulter legte. Mit der anderen Hand hob sie sein Kinn und zwang ihn so, ihr direkt in die Augen zu sehen.
    Ihre Iris war so dunkel wie die Nacht. Lewin hatte schon öfter Leute mit dunklen Augen gesehen, aber die des Mädchens waren derart schwarz, dass man kaum noch die Pupille erkennen konnte. Er sah sich selbst in ihren Augen. Sah sein geschwollenes Gesicht und das getrocknete Blut, das immer noch an seiner Nase und seinen Lippen klebte.
    Die Hände der Unbekannten wurden langsam wärmer und dort, wo sie ihn berührte, schien seine Haut zu glühen. In diesem Augenblick wollte er nichts sehnlicher, als sie an sich zu ziehen, um dieses Glühen auf seinem gesamten Körper spüren zu können, selbst wenn er dabei verbrennen würde. Lewin wunderte sich über dieses heftige Verlangen.
    Das Mädchen lächelte und flüsterte: „Ich würde heute Abend wirklich gern mit dir dort hingehen!“
    Lewin nickte. Seine Knie waren weich und es schien ein Wunder zu sein, dass er noch aufrecht stand. Er würde heute Abend auf dieses Konzert mit ihr gehen. Er spürte, dass jeder Widerstand zwecklos war. Wie auch immer dieses fremde Mädchen es angestellt hatte, aber in seinem Kopf existierte plötzlich nur noch der Wunsch, ihr zu gefallen.

Der B us
    Der Bus war ein finsteres Rattenloch, irgendwo in der hintersten Ecke von Weiß. Niemand mit Geschmack und Verstand hätte sich freiwillig hierher begeben. Zumindest nicht in einer normalen Stadt. In Weiß dagegen war der Bus angesagt. Ein absoluter Szenetreffpunkt. Sofern man von einer Szene sprechen konnte.
    Der Bus war eigentlich immer geöffnet und da es keinen Fahrplan gab, konnte man sich nie so sicher sein, wohin die Reise ging. Manchmal endete sie im Krankenhaus, manchmal auf dem Fußboden in einer Pfütze aus Bier oder Erbrochenem und manchmal, aber eher selten, schafften es die Fahrgäste sogar, heil nach Hause zu gelangen.
    Ich selbst war früher ein paar Mal im Bus, mit Simon und seinen Freunden, zu der Zeit, als die Welt noch einigermaßen in Ordnung war. Wir waren damals noch nicht volljährig, aber das kümmerte hier niemanden. Man brauchte weder einen Fahr- noch einen Führerschein, um sich hier zu besaufen.
    Der Besitzer des Busses hieß Riko. Er stammte nicht aus Weiß, sondern war ein Zugezogener. Und er hatte die schlimmsten Zähne, die ich je gesehen habe. Eigentlich waren es nicht viel mehr als schwarze, verfaulte Stumpen, anhand derer man erraten konnte, was Riko in den letzten drei Wochen zu Mittag gegessen hatte. Jeder normale Mensch hätte sich für solche Zähne

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