Weiß (German Edition)
geschämt. Aber nicht so Riko. Der zeigte seine Zähne andauernd, lachte viel und laut. Mit offenem Mund.
Ich hatte schon als Kind Angst vorm Zahnarzt. Die ganzen Geschichten über Bohrer und Spritzen und kleine Bakterien, die Löcher in meine Zähne schlugen, um anschließend darin zu wohnen, trieben mir immer den Schweiß auf die Stirn. Dementsprechend beschloss ich, meine Zähne stets ganz besonders ordentlich zu putzen. Damit ich nie zu so einem Arzt musste. Das habe ich bis heute durchgehalten.
Sechs
Als Lewin den Laden verließ und hinaus auf die Straße trat, fühlte er sich erstaunlich gut. Zwar schmerzte ihn immer noch jeder Zentimeter seines von Kneif geschundenen Körpers, aber innerlich fühlte er sich stark und ausgeruht. Die Begegnung mit dem fremden Mädchen hatte etwas in ihm verändert. Die Hitze, die ihn auf der Straße umhüllte, schien ihm weniger auszumachen als vorher. Das Hämmern in seinem Kopf war deutlich leiser geworden und der Schwindel hatte ihn bereits seit längerem nicht mehr erfasst.
Lewin streckte das Gesicht in die Sonne. Seine Lippen zogen sich zu einem breiten Grinsen auseinander und in seinem Körper schienen tausend Ameisen auf Wanderschaft zu gehen. Er drehte sich nach rechts und schlenderte die Straße entlang. Er hatte keine Angst, dass er jetzt jemandem begegnen könnte. Um diese Zeit verkrochen sich die Leute in ihren Häusern, dunkelten die Fenster ab und versuchten, sich so gut es ging von der erbärmlichen Hitze abzulenken.
Auch Lewin spürte, wie sein dunkles Shirt die Sonne in sich aufsog. Sein Rücken brannte und er begann am ganzen Körper zu schwitzen. In seinen Achselhöhlen bildeten sich kitzelnde Tropfen, die unter dem Shirt an seinem Körper herunterliefen.
Ihm wa r nicht aufgefallen, wie gut der Laden des Rollascheks ihn vor der Hitze geschützt hatte. Wenn er gekonnt hätte, wäre er gern noch länger dort geblieben. Vor allem wegen Lydia. Aber er war schon viel zu spät dran. Der Alte wartete auf ihn und bei dieser Hitze würde er wahrscheinlich schon in seinem eigenen Sud vor sich hin köcheln.
Der Alte
Oh Gott, wie ich den Alten gehasst habe! Dieser stinkende Greis ist so ziemlich das Widerlichste gewesen, das ich in meinem ganzen Leben ertragen musste. Keiner kann sich vorstellen, wie froh ich bin, dass diese Zeiten endgültig vorbei sind!
Ich habe keinen Schimmer, welches Unrecht meine Mutter und ich verübt haben mussten, dass uns dieses faulende Stück Fleisch auf die Augen gedrückt wurde. Soweit ich zurückdenken kann, hatte der Alte schon immer bei uns gelebt. Er war auch schon immer alt und hat mit seinem Geruch mein Leben verpestet. Zuerst habe ich noch mit ihm zusammen im oberen Stockwerk unseres Hauses gewohnt, aber später bin ich dann freiwillig in den Keller gezogen. Ich habe seine Nähe nicht länger ausgehalten.
Der Alte verbrachte den ganzen Tag in seinem Zimmer auf einem wackeligen Schaukelstuhl. Ich habe ihn niemals irgendwo anders gesehen und so manches Mal habe ich mich gefragt, ob er nicht vielleicht mit diesem Stuhl verwachsen sein könnte.
Sein Zimmer durfte ich nur zweimal am Tag betreten. Einmal am Vormittag und einmal am frühen Abend. Trotz dieser Ver einbarung kam es vor, dass der alte Teufel mich nicht hineinlassen wollte. Dann klemmte er immer eine alte Holzlatte unter den Türgriff und ich konnte mir die Fäuste an seiner Tür wund hämmern. Im Grunde genommen war ich jedoch stets froh, wenn die Tür wieder einmal versperrt war. Ließ er mich nämlich gnädigerweise in sein Zimmer, so bedeutete das für mich eine mindestens zehnminütige Quälerei.
In seinem Zimmer war die Luft dick und gelb. Man hätte sich mit einem Löffel sicherlich eine Portion heraushebeln und später in der Hosentasche mit sich herumtragen können. Wenn man es denn gewollt hätte.
Der erste Schritt ins Zimmer war noch der leichteste. Mit der Luft aus dem übrigen Haus in den Lungen konnte ich es immer ungefähr dreißig Sekunden lang aushalten, bevor ich die übelriechenden Schwaden das erste Mal einatmen musste. Obwohl ich es generell vermied, im Zimmer des Alten durch die Nase zu atmen, musste ich dennoch bei jedem Besuch das ein oder andere Mal würgen. Allein die Vorstellung, dass auch nur ein einziges dieser winzigen Geruchsmoleküle, mit denen die Luft in diesem Zimmer angefüllt war, auf der eigenen Zunge landete; dass man den Gestank hätte schmecken können, treibt mir heute noch die saure Galle in den Hals.
Der Alte musste
Weitere Kostenlose Bücher