Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
meine liebste Jahreszeit. Ja, auch hier in Ghana gibt es die, auch wenn sie völlig anders aussehen als in Europa. Frühling, Sommer, Herbst und Winter, das kennen wir hier nicht. In Ghana bestimmt das Wasser die Klimaveränderungen: Es gibt jede Menge davon in der Regen- und so gut wie keines während der Trockenzeiten. In der Trockenzeit von November bis März weht der Wind aus der Sahara, also von Nord nach Süd über das Land hinweg. Dieser Wüstenwind, der Harmattan, hat im Handumdrehen die hohe Feuchtigkeit aus der Luft gesogen, die ansonsten hier für ein Treibhausklima sorgt. Ja, in Deutschland findet man sicherlich nur in den Tropenhäusern der zoologischen Gärten ein Klima, das man mit unserer Regenzeit vergleichen könnte. Dann klettert das Thermometer schon mal auf 45 Grad. Und man ist einfach immer nass – sei es von der hohen Luftfeuchtigkeit oder vom Schweiß.
Wenn ich ehrlich bin, die westafrikanischen »seasons« sind mir hundert Mal lieber. Auch wenn ich meine Wurzeln in Deutschland habe und jeder auf den ersten Blick in mein Gesicht und auf mein blondes Haar meine nordeuropäische Herkunft vermutet, so fühle ich mich doch inzwischen mehr als Ghanaerin. Manchmal denke ich sogar, ich bin im falschen Land und im falschen Körper geboren worden. Aber natürlich ist das Unsinn: Es ist alles genau so richtig, wie es ist.
Mein Handy klingelt, eines von fünf. Wenn ich im Busch unterwegs bin, dann wechsle ich nicht selten an einem Tag in fünf verschiedene Netzbereiche. Ich muss erreichbar bleiben, für meine Kontakte in Deutschland und die Mitarbeiter in Ghana.
»Heute Morgen konnten wir das einhundertunddritte Kind retten!«, sagt Emmanuel, mein Stellvertreter, der meine Hilfsorganisation Madamfo Ghana hier im Land vertritt. »Es heißt Josuah und ist fünf Jahre alt!«
Ich jubele. Ein Kind weniger, das am Voltasee von morgens bis abends einem Fischer und Menschenhändler zu Diensten sein muss: Netze schleppen, das Boot hinaus auf den See rudern und andere, für sein Alter viel zu schwere Arbeit. Eines weniger, das jederzeit ertrinken kann, wenn es zu einem der Netze hinabtaucht, das sich wieder einmal verfangen hat. Eines mehr, das endlich das tun kann, wozu jedes Kind auf dieser Erde ein Recht hat: genug essen, spielen, lernen, zur Schule gehen und in aller Ruhe behütet heranwachsen.
Ein weiteres ist gerettet. Doch noch sind Tausende da draußen, von ihren Eltern an die Fischer verkauft, rechtlos und ohne Hoffnung.
Nein, das stimmt nicht. Ich bin jetzt ihre Hoffnung, Madamfo Ghana heißt ihre Rettung. Ich habe geschworen, diesen Kindern zu helfen. Und wer mich kennt, der weiß: Ich werde nicht eher ruhen, bis ich sie da rausgeholt habe.
»Mimie«, rufe ich, »wo bist du?«
Mimie steht unter freiem Himmel an ihrem Zuschneidetisch im Hof hinter der Küche und lässt die blitzende Schere ritschratsch durch einen bonbonfarbenen Stoff gleiten. Mimie ist Modedesignerin, und wer von ihr benäht wird, der hat Glück. Ich gehöre zu diesen Glücklichen, denn in Afrika trage ich fast nur einheimische Kleidung.
»Was wird das?«, necke ich sie und zupfe an dem schillernden Material. »Ein Vorhang?«
Mimie lacht, ohne ihre Arbeit zu unterbrechen. Es ist ein altes Spiel zwischen uns beiden. Die Afrikaner lieben leuchtende Stoffe – und im Gegensatz zu uns Weißhäuten können sie die auch gut tragen. Heute zaubert Mimie für eine Hochzeit gleich ein Dutzend Kleider aus demselben Stoff für den gesamten weiblichen Teil der Familie.
Ein weiteres Handy klingelt, es ist das mit der deutschen SIM-Karte, eine Journalistin ist am Apparat. Das Fernsehteam, das ein Jahr zuvor Atze Schröder für einen großen Spendenmarathon hier in Ghana gefilmt hat, wird wiederkommen. Die Menschen in Deutschland, die großzügig Herz und Geldbeutel öffneten, sollen erfahren, was aus ihrer Spende geworden ist. Dazu werden wir durch das halbe Land fahren, ich habe die Reise längst organisiert und freue mich darauf.
Als ich meinen Computer starte, warten bereits mehr als 300 neue E-Mails auf mich. Jeder kann innerhalb kürzester Zeit mit einer Antwort von mir rechnen. Das bringt mich manchmal an meine Grenzen, aber mir ist das äußerst wichtig. Denn die Menschen, die für Madamfo Ghana spenden oder auch einfach nur etwas fragen wollen, haben ein Recht auf Information aus erster Hand. Unsere beiden wunderbaren Sekretärinnen Pearl und Pamela, eineiige Zwillinge, sind noch nicht im Büro, und dabei laufen auch dort
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