Weiße Nana / Mein Leben für Afrika
nicht einmal eine genaue Adresse bei mir, weil ich ja davon ausgegangen war, abgeholt zu werden, so kannte ich nur das Stadtviertel, Mendskrom, und den Namen des Vereinshauses. Außerdem gibt es Stadtviertel in Accra, die gar keine Straßennamen haben. Der Taxifahrer hatte offenbar ebenfalls keine Ahnung, wo genau er mich hinbringen musste, doch auch er blieb ganz entspannt. Schon an meinem ersten Abend in Accra lernte ich: Hast du ein Problem, dann machen es die Ghanaer zu dem ihren. Später sollte ich das noch oft erleben. Sie geben keine Ruhe, bis sie dich dorthin gebracht haben, wo du hinmusst, bis du das zum Einkaufen gefunden hast, was du brauchst, bis sie dir zu dem verholfen haben, was du benötigst. Und das liebe ich aus vollem Herzen an den Menschen hier in Ghana. Die Menschen sind so freundlich und hilfsbereit, dass man es kaum beschreiben kann. Immer ein Lachen auf den Lippen. Eine Herzlichkeit, die ich so noch nie kennengelernt hatte.
Als wir den Stadtteil erreichten, hielt mein Fahrer am Straßenrand an und beriet sich mit Passanten. Ob jemand von dem Haus dieser Organisation schon mal was gehört habe. Ich sah zu, wie beraten wurde, wie immer mehr Menschen die Köpfe zusammensteckten, in diese und jene Richtung wiesen. Wir fuhren ein Stück, dann hielt der Fahrer wieder an und besprach sich mit einem Kollegen, und so kamen wir meinem Ziel Stück für Stück näher. Ich weiß noch genau, wie wunderbar ich das fand, einfach so in diesem fremden Land, über das inzwischen die Dunkelheit hereingebrochen war, herumzufahren. Jeder Passant grüßte mich: »
Obroni
, how are you? Welcome to Ghana!« Das ist kein Klischee, das ist Ghana. Damals wusste ich noch nicht, dass
Obroni
»Weiße« heißt, aber mein Gefühl sagte mir damals schon, dass ich den Menschen hier vertrauen kann. Als wir schließlich in der Millionenstadt Accra jenes eine Haus tatsächlich fanden, das wir suchten, da wusste ich: Dies ist mein Land.
Ich war angekommen.
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1. Der Kaneshi-Markt im Herzen von Accra
Das Land, ja, von dem war ich vom ersten Augenblick an wie verzaubert. Doch die deutsche Organisation, an die ich da geraten war, die war nicht unbedingt mein Fall. Auch ich wurde christlich erzogen, aber meinetwegen muss nicht in jedem zweiten Satz der Name »Jesus« vorkommen. Und der eigene christliche Glaube ist für mich schon gar kein Argument, den Menschen vorzuschreiben, was sie zu glauben oder wie sie zu leben haben. Ein paar Tage lang blieb ich zum Akklimatisieren in Accra, dann brach ich auf in den Busch. Mein Einsatzort war das Dorf Apewu am Ufer des Bosomtwisees, viele Autostunden von Accra entfernt.
Die Fahrt war wie ein Film, der vor meinen Augen ablief. Wie sehr ich sie genoss, meine erste Tour durch ein afrikanisches Land! Zuerst hieß es allerdings, der Hauptstadt mit ihren fast drei Millionen Einwohnern und den unvermeidlichen, nicht enden wollenden Staus zu entrinnen. Zwischen den Autos, die sich im Schneckentempo voranarbeiteten, versuchten junge Männer und Frauen ihre Waren anzubieten, die sie auf flachen Körben auf ihren Köpfen balancierten: in Plastiktüten verschweißtes, portioniertes Trinkwasser, Papiertaschentücher, Gebäck, Schokolade, Erdnüsse und bereits geschälte Orangen.
Heute halte ich immer nach denjenigen Ausschau, die statt eines Körbchens eine Kühlbox auf dem Kopf tragen, dann kaufe ich ihnen Speiseeis ab, meine Lieblingssorte ist Schokolade. Das Eis besteht zwar nur aus Wasser mit Schokoladengeschmack, aber bei der Hitze ist das auch besser so. Denn »Montezumas Rache« – der mitunter fast unvermeidliche Durchfall – kommt hier schneller und unerwünschter, als einem lieb ist. Am Straßenrand warteten offene »Läden« auf Kundschaft, vor allem Holzmöbel vom Stuhl bis zum Sarg wurden feilgeboten, aber auch Kühlschränke, Abdeckplanen fürs Auto, Kleider, Kochgeschirr, Obst und Gemüse und vieles mehr.
Es ist eine lange Fahrt von Accra nach Kumasi, der Hauptstadt der Aschantiregion, auch wenn es nur rund 250 Kilometer sind und Google Maps dreieinhalb Stunden für die Fahrt angibt. In Wirklichkeit dauert die Reise, je nach Straßenlage und Wetter, je nach Bauarbeiten und Staus mindestens doppelt so lange. Kumasi ist mit ihren dreieinhalb Millionen Einwohnern nicht nur die zweitgrößte Stadt des Landes, sondern auch berühmt für einen der größten Märkte Westafrikas. Von dieser pulsierenden Metropole aber ging es damals erst einmal hinein in das
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