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Weiße Nana / Mein Leben für Afrika

Weiße Nana / Mein Leben für Afrika

Titel: Weiße Nana / Mein Leben für Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Landgrafe
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bereits die Leitungen heiß.
    Ein ganz normaler Morgen in Accra ist für mich angebrochen. Doch jede Herausforderung macht mir Freude, und ich bin immer gespannt, was sich hinter jeder neuen E-Mail, dem nächsten Anruf verbirgt. Bekomme ich gute Nachrichten wie die von Emmanuel, dann könnte ich an die Decke springen. Keiner weiß, wie viel Mühe und Geduld es uns kostet, die Fischer in der Voltaregion davon zu überzeugen, dass sie gleich zwei Gesetze brechen, nämlich das gegen Kinderarbeit und das gegen Menschenhandel. Und dass sie, wenn sie mit uns zusammenarbeiten, ein weit besseres Leben führen können – auch ohne Kindersklaven.
     
    Das Schicksal dieser Kinder liegt mir so am Herzen, weil ich selbst weiß, was es heißt, um die eigene Kindheit betrogen zu werden. Zwar wurde ich nicht von meiner Mama verkauft, wurde nicht zur Kinderarbeit gezwungen, sondern führte das vergleichsweise bequeme Leben eines Kindes in Deutschland, das in den achtziger Jahren aufwuchs. Dennoch wurde es mir nicht in die Wiege gelegt, eine Hilfsorganisation aufzubauen, einmal in einer TV -Sendung aufzutreten oder mit einem Fernsehteam durch Ghana zu reisen. Mit etwas weniger Glück hätte ich genauso gut als jugendliche Drogentote am Bahnhof enden können. Denn ein wirkliches Zuhause hatte auch ich damals nicht.
    Meine Mutter war selbst in einem Waisenhaus aufgewachsen. Mir wurde erzählt, ihre Eltern hätten sie als ganz kleines Kind dort abgegeben, weil sie sie nicht haben wollten. Obwohl wir nie darüber sprachen, kann ich mir gut vorstellen, dass auch ihre Kindheit nicht gerade glücklich war. Dann aber schien sie das große Los zu ziehen, ein angesehener Chirurg und Direktor eines Hagener Krankenhauses lud sie im Rahmen eines Lions-Club-Projekts zu seiner Familie ein. Aus einem Besuch wurden viele, und so wuchs sie nach und nach in die Familie hinein. Auf einmal hatte sie ein Zuhause, Eltern, eine Schwester und einen Bruder. Meine Großeltern liebten meine Mutter sehr und gaben ihr die gleiche Zuwendung und Geborgenheit wie ihren leiblichen Kindern. Ich denke, es war das erste Mal überhaupt, dass meine Mutter Liebe und Geborgenheit spürte.
    Sie machte die Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete in demselben Krankenhaus, in dem ihr Pflegevater Direktor war. Alles schien in bester Ordnung.
    Da verliebte sich meine Mutter bis über beide Ohren. Ihre große Liebe war ein Gastarzt, der für einige Monate aus Hamburg ans Hagener Krankenhaus gekommen war. Beide schwebten im siebten Himmel, und bald war meine Mutter schwanger. Diese Liebe hatte nur einen kleinen, aber entscheidenden Schönheitsfehler: Der Arzt war verheiratet, hatte Kinder und dachte nicht daran, seine Familie für meine Mutter und mich aufzugeben. Er verschwand und ließ ein gebrochenes Herz zurück, unter dem nach und nach ich Gestalt annahm. Als ich zur Welt kam, war er längst in sein altes Leben zurückgekehrt. Ich sollte ihn niemals sehen, ja, ich weiß bis heute nicht einmal seinen Namen. Und im Grunde interessiert er mich auch nicht.
    Wer weiß, vielleicht wäre alles anders gekommen, hätte meine Mutter diesen großen Herzensschmerz irgendwie überwinden können. Offenbar war sie dazu nicht in der Lage. Um sich zu betäuben, begann sie zu trinken. So kam es, dass ich mit einer Mutter aufwuchs, die entweder bei der Arbeit oder betrunken war. Wenn sie einmal nüchtern war, dann konnte man mit ihr viel Spaß haben. Sie war liebevoll und warmherzig. War sie aber betrunken, so vergaß sie alles um sich herum. Es war mein großes Glück, dass die Familie, die meine Mutter damals an Kindes statt angenommen hatte, mich als ihre Enkeltochter betrachtete und niemals aufhörte, für mich da zu sein.
    Ich kam quasi nach meiner Geburt sofort ins Haus meiner Großeltern, denn meine Mutter arbeitete im Schichtdienst. Später wanderte ich nach dem Kindergarten und nach der Schule dahin, wo es gerade passte: Entweder holte meine Mutter mich ab oder meine Pflegemutter vom Kinderschutzbund. Und wenn das nicht ging, war ich bei meinen Großeltern.
    Man hat mir erzählt, dass mein Vater dort eines Tages vor der Tür stand und mich mitnehmen wollte, doch mein Großvater sagte: »Nur über meine Leiche«, und damit war die Sache erledigt.
    Ich war sehr gerne im Haus meiner Großeltern, die ich von Anfang an über alles liebte. Das Schönste waren der große Garten und das Schwimmbad, das sie im Keller hatten. Meine Großeltern nahmen mich schon als Kleinkind mit ins

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