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Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Titel: Weißer Fluch: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Black
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blauen Stein.
    Hat Mom ein altes Erbstück geklaut oder gehörte es ihr wirklich? Die Vorstellung, ein Gedächtnisamulett zu vergessen, hat etwas Komisches. Ich stecke es ein.
    Beim Entrümpeln des Wohnzimmers finde ich noch eine Button-Maschine, zwei Plastiktüten mit Luftpolsterfolie, ein Schwert mit verrosteter Klinge, drei kaputte Puppen– keine Ahnung, wem die gehört haben könnten–, eine Sammlung von Orden für militärische Heldentaten sowie einen umgeworfenen Sessel, vor dem ich mich als Kind immer gefürchtet habe, weil ich geschworen hätte, genau denselben an dem Abend im Fernsehen gesehen zu haben, ehe Philip und Barron ihn anschleppten. Als ich endlich fertig bin, ist es fast zwölf und meine Hände und Füße und der Saum meiner Jeans sind schwarz vor Schmutz. Ich werfe stapelweise Zeitungen, Kataloge und Rechnungen fort, die über die Jahre niemand bezahlt hat, dazu noch mehr Plastiktüten mit Bügeln aus Holz und Draht und zu guter Letzt den Hockeyschläger.
    Das Schwert lehne ich an die Wand.
    Draußen wird die Fassade bereits von all den Müllsäcken verdeckt, die wir diesen Morgen herausgeschafft haben. Es häuft sich dermaßen, dass wir über kurz oder lang zur Müllkippe fahren müssen. Ich lasse meinen Blick zu den Nachbarhäusern mit den manikürten Rasenflächen und den bunt gestrichenen Türen schweifen und wieder zurück zu unserem Haus. Auf beiden Seiten der Vorderfenster hängen die Läden schief und eine Scheibe ist kaputt. Die Farbe ist so ausgeblichen, dass die Zedernschindeln grau aussehen. Das Haus verfault von innen. Als ich den Sessel an die Straße zerre, kommt Großvater die Treppe hinunter und lässt den Schlüssel vor meiner Nase baumeln.
    » Komm rechtzeitig zurück zum Abendessen « , sagt er.
    Ich nehme den Schlüssel so fest in die Hand, dass seine Zinken sich in meine Haut bohren. Dann lasse ich den Sessel einfach liegen und laufe die Einfahrt hinunter, als käme ich wirklich zu spät zu meinem Termin.

SECHSTES KAPITEL
    DR . CHURCHILLS PRAXIS , DIE ich im Internet gefunden habe, liegt an der Ecke der Vandeventer Avenue im Zentrum von Princeton. Ich parke an einem Fondue-Restaurant und mustere mich im Rückspiegel. In der Hoffnung, wie ein netter, vertrauenswürdiger Junge auszusehen, glätte ich die Haare mit den Fingern. Obwohl ich mir auf der Toilette eines Ladens, an dem ich zum Kaffeetrinken angehalten hatte, dreimal gründlich die Hände gewaschen habe, spüre ich immer noch den öligen Schmutzfilm auf der Haut. Ich muss mich davon abhalten, meine Hände an der Jeans abzuwischen, als ich die Praxis betrete und zum Empfang gehe.
    Hinter dem Tresen sitzt eine Frau und telefoniert. Sie hat rot gefärbte Locken, vor ihrer Brust hängt eine Brille an einer Perlenkette. Ich überlege, ob sie die Kette selbst gemacht hat, weil ich Basteln unvernünftigerweise mit Freundlichkeit gleichsetze. Ihren Falten und den silberfarbenen Haarwurzeln nach zu urteilen, ist sie Mitte fünfzig. » Hi « , sage ich. » Ich habe einen Termin um zwei. «
    Sie schaut mich an ohne zu lächeln, und tippt etwas ein. Ich weiß, dass sie auf dem Bildschirm nichts über mich finden wird, aber das macht nichts. Es gehört zu meinem Plan.
    » Wie heißen Sie? « , fragt sie.
    » Cassel Sharpe. « Ich versuche, so nah an der Wahrheit zu bleiben wie möglich, für den Fall, dass sie nach meinem Ausweis oder meiner Adresse fragt. Während sie hin und her klickt, um herauszufinden, wer für diesen Fehler verantwortlich ist, nehme ich die Praxis in Augenschein. Hinter dem Empfangstresen steht eine junge Frau in einem helllila Kittel, die ich für eine Krankenschwester halte, weil an der Tür nur der Name eines einzigen Arztes steht– Dr. Eric Churchill, Allgemeinmediziner. Die wenigen Akten, die weiter hinten auf den Schränken stehen, sind in dunkelgrünen Ordnern abgeheftet, und auf dem Empfangstresen klebt eine Notiz mit den Sprechstundenzeiten an Feiertagen. Auf Briefpapier getippt; ich greife danach.
    » Ich kann hier nichts finden, Mr Sharpe « , sagt die Sprechstundenhilfe.
    » Oh « , sage ich und erstarre mit der Hand in der Luft, denn ich kann das Klebeband nicht abreißen, ohne dass sie es merken würde. Stattdessen schaue ich besorgt drein, damit sie Mitleid mit mir bekommt und weitere vergebliche Nachforschungen anstellt, oder besser noch, weggeht, um jemanden zu fragen.
    Leider nimmt sie meine gespielte Unruhe nicht zur Kenntnis, sondern macht eher einen gereizten Eindruck. » Wer hat den

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