Weißer Fluch: Band 1 (German Edition)

Termin denn gemacht? «
    » Meine Mom. Glauben Sie, er wurde unter ihrem Namen eingetragen? « Die Schwester in dem lila Kittel zieht eine Akte hervor und legt sie direkt neben mir auf den Tresen.
    » Wir haben hier keinen Sharpe « , sagt die Rezeptionistin und sieht mich ruhig an. » Kann es sein, dass Ihre Mutter sich vertan hat? «
    Ich hole tief Luft und konzentriere mich darauf, so wenig wie möglich preiszugeben. Lügner berühren sich im Gesicht, um sich zu verbergen. Sie werden starr und steif. Sie machen tausend verräterische Sachen– atmen hastig, reden schnell, werden rot. » Sie heißt mit Nachnamen Singer. Könnten Sie bitte noch mal nachsehen? «
    Während sie sich wieder dem Bildschirm zuwendet, fische ich die Akte vom Tresen und stecke sie unter meine Jacke.
    » Nein, auch kein Singer « , sagt sie offensichtlich verärgert. » Möchten Sie Ihre Mutter vielleicht anrufen? «
    » Ja, das wäre wahrscheinlich das Beste « , sage ich zerknirscht, wende mich ab und ziehe gleichzeitig den Briefpapierzettel ab. Keine Ahnung, ob sie mir zusieht. Ich zwinge mich nicht zurückzublicken, sondern einfach weiterzugehen, einen Arm über der Brust, damit die Akte nicht runterfällt. Mit der anderen Hand schiebe ich die Notiz in die Akte, alles mit natürlichen Bewegungen.
    Ich höre, wie eine Tür geschlossen wird und eine Frau– möglicherweise die Patientin, deren Akte ich abgezogen habe– sagt: » Das verstehe ich nicht. Wenn ich verflucht bin, was nützt dann das Amulett? Ich meine, sehen Sie es sich doch an, es ist voller Smaragde; und Sie wollen mir erzählen, es wäre nicht besser als eins aus dem Ramsch…«
    Ich bleibe nicht stehen, um länger zuzuhören, sondern gehe einfach weiter zur Tür.
    » Mr Sharpe « , sagt eine Männerstimme.
    Ich bin fast an der Tür. Nur noch wenige Schritte trennen mich von ihr, aber ich bleibe stehen. Schließlich funktioniert mein Plan nur, wenn sie sich nicht an mich erinnern, und einen Patienten, dem sie hinterherlaufen müssen, würden sie nicht so schnell vergessen. » Äh, ja? «
    Dr. Churchill ist sonnengebräunt und mager, er trägt eine Brille mit dicken Gläsern. Seine Locken sind sehr kurz geschnitten und so weiß wie Eierschalen. Der Arzt schiebt die Brille geistesabwesend wieder hoch. » Ich weiß nicht, was mit Ihrem Termin schiefgelaufen ist, aber ich habe gerade ein wenig Zeit. Kommen Sie bitte. «
    » Was? « , sage ich und drehe mich zu der Empfangsdame um. Mit der einen Hand halte ich immer noch meine Jacke zu. » Hatten Sie nicht gesagt, dass– «
    Sie runzelt die Stirn. » Wollen Sie jetzt zum Doktor rein, oder nicht? «
    Mir fällt nichts Besseres ein, als ihm zu folgen.
    Eine Krankenschwester führt mich in einen Raum mit einem Untersuchungstisch, der mit krausem Papier ausgelegt ist. Sie reicht mir ein Klemmbrett mit einem Formular, in das ich meine Adresse und Versicherung eintragen soll. Nachdem sie gegangen ist, starre ich auf ein Schaubild, das die verschiedenen Schlafstadien und ihre Funktionen zeigt. Ich reiße das Futter meiner Jacke so weit auf, dass ich die Akte darin verschwinden lassen kann. Dann setze ich mich ans Ende des Tisches und fülle das Formular mit Angaben aus, die fast alle stimmen.
    Auf einem kleinen Tisch liegen mehrere Broschüren. » Die vier Typen der Schlaflosigkeit « , » Symptome eines HGF -Anschlags « , » Gefahren der Schlafapnoe « und » Basisinformationen zur Schlafkrankheit. «
    Ich greife nach dem Heft über den HGF -Anschlag. Das ist der gesetzliche Fachausdruck für das, was meine Mutter mit den reichen Typen gemacht hat. Anschlag. Eine Liste von Symptomen wird stichpunktartig aufgeführt, wobei darauf hingewiesen wird, dass die Differentialdiagnostik (was immer das bedeuten mag) jeweils breit gefächert ist:
Schwindelerscheinungen
Akustische Halluzinationen
Visuelle Halluzinationen
Kopfschmerzen
Erschöpfungszustände
Erhöhte Ängstlichkeit
    Mauras Musik fällt mir ein, und ich überlege, wie abgedreht die Halluzinationen wohl werden können.
    Mein Handy piepst, und ich ziehe es automatisch aus der Tasche, den Blick weiter auf die Broschüre geheftet. Keine dieser Informationen sagt mir etwas Neues– ich habe zum Beispiel oft Kopfschmerzen, weil meine Mutter unsere Gefühle früher so häufig bearbeitete, wie andere Eltern ihren Kindern Hausarrest verpassen–, aber schwarz auf weiß wirkt es doch noch mal anders.
    Als ich mein Handy aufklappe, fällt das Heft auf den Boden. Komm her, lautet die SMS ,