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Weißer Mann mit Brille

Weißer Mann mit Brille

Titel: Weißer Mann mit Brille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Heute abend kann ich niemanden um mich haben …«
    »Verzeihen Sie …«, stammelte er und sprang mit einem Satz auf. »Ich wollte nicht lästig fallen …«
    »Sie fallen mir nicht lästig … Seien Sie mir nicht böse …«
    »Ich verstehe … Darf ich trotzdem morgen wiederkommen?«
    »Sie wissen doch, daß ich nach Niangara fahre …«
    »Dann sehe ich Sie dort?«
    »Das kann gut sein … Gute Nacht, Philps … Vergessen Sie Ihren Brief nicht …«
    Es war durchaus möglich, daß er ihn absichtlich liegengelassen hatte, damit sie ihn nochmals überlesen konnte. Aber das war völlig überflüssig, denn die beiden Sätze, die sie interessierten, kannte sie bereits auswendig.
    »Camille!« rief sie, sobald sie allein war.
    Sogleich trat dieser aus der Küche, wo er Baligi bei der Zubereitung der Mahlzeiten zu helfen pflegte, sah auf den ersten Blick, daß etwas sie sehr bedrängte.
    »Ich weiß nicht mehr, was ich davon halten soll, Camille«, erklärte sie, während sie, ihr Taschentuch in der Hand zerknüllend, im Raum auf und ab schritt. »Da ist etwas, worauf ich vorher nie gekommen wäre, doch nun läßt mich der Gedanke nicht mehr los … Glaubst du, daß Ferdinand ein Mensch ist, der sich umbringen könnte?«
    Ihre klar artikulierten Worte erfüllten ihn mit Grausen. Er empfand sie geradezu als eine Gotteslästerung, und heimlich berührte er ein Stück Holz.
    »Warum?« stammelte er.
    Ohne alle Umschweife klärte sie ihn auf:
    »Lady Makinson ist in Istanbul eingetroffen. Sie hat an Philps geschrieben: Die Reise verlief ohne jeden Zwischenfall, und ich bin sogar recht zufrieden mit mir. Was kann das nur bedeuten?«
    Er runzelte die Brauen, suchte vergeblich nach einer Erklärung.
    »Verstehst du, was ich meine?«
    Er nickte.
    »Du warst doch in den letzten Tagen mit Ferdinand zusammen! Ist dir nichts aufgefallen? War er nicht irgendwie überdreht? Wie töricht von mir, so etwas zu fragen! Natürlich war er das, um einfach abzureisen …«
    »Ja.«
    Unvermittelt nahmen ihre Gedanken eine andere Richtung.
    »Die Bodets stehen im Begriff, Dummheiten zu machen …«
    Doch gleich darauf sagte sie:
    »Man muß auf alles gefaßt sein … Er hat niemandem geschrieben … Wenn seine Mutter Nachricht von ihm hätte, hätte sie mir telegrafiert …«
    Zwischen Ferdinand und den Seinen lag so etwas wie ein Abgrund des Schweigens, denn seit vierzehn Tagen war er mit keinem von ihnen in Verbindung getreten. Lady Makinson schrieb nichts davon, wo sie ihn verlassen hatte. Höchstwahrscheinlich in Alexandria, denn das Wasserflugzeug der Admiralität kam für Graux nicht in Frage.
    Er war dann wohl mit dem Schiff nach Istanbul gefahren! Und sie hatte den Brief vielleicht noch vor seiner Ankunft in der Türkei geschrieben!
    Sie hätte auf das Datum des Poststempels achten sollen. Wenn sie Tag um Tag alle Etappen seiner Reise notierte, unter Berücksichtigung der Flugpläne, der genauen Abflug- und Landezeiten der Flugzeuge, könnte sie vielleicht etwas herausfinden!
    »Laß mich jetzt allein!«
    »Darf ich Ihnen etwas sagen? Ich habe nachgedacht. Sie können mir glauben, Ferdinand ist nicht der Mann, der sich … der das tun könnte, was Sie befürchten …«
    Sie blickte ihm in die Augen, und darin las sie, daß Camille nicht wirklich glaubte, was er sagte.
    »Laß uns schnell essen, ich will früh schlafen gehen, und morgen sehen wir weiter.« Damit beendete sie das Gespräch.
     
    »Er haßt mich, verstehen Sie? Ich hätte es von Anfang an wissen müssen, schon während der Ferien in Charleroi …«
    Anstatt erst ins Büro des Administrators zu gehen, um nachzufragen, ob kein Telegramm für sie gekommen sei, hatte sie ihren Wagen vor dem Bungalow der Bodets geparkt. Ob ein dunkles Bedürfnis, sich zu kasteien, sie dazu trieb, oder die unbestimmte Hoffnung, auf diese Weise das Schicksal zu ihren Gunsten zu lenken, war nicht ganz eindeutig.
    Yette erwartete sie schon. Wie immer trug sie einen häßlichen Morgenrock aus stahlblauem Krepp, der um ihren mageren Leib schlotterte. Ihre bloßen Füße steckten in abgetretenen Pantoffeln, und Emilienne bemerkte, daß sie schmutzig waren, wie das ganze Haus, in dem eine wüste Unordnung herrschte.
    »Setzen Sie sich … Schenken Sie sich was zu trinken ein, wenn Sie Durst haben … Mir ist nicht nach Höflichkeitsfloskeln zumute. Heute nacht habe ich mit einem Messer unter dem Kopfkissen geschlafen … Ich bin fast sicher, daß Georges unter dem seinen einen Revolver versteckt hatte

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