Weißer Mann mit Brille
versorgt hatte, oder um einen altersschwachen Greis nach seinem Befinden zu fragen.
Er war nicht mehr Ferdinand Graux, sondern Mundele na Talatala. Im Schutze seiner Brille wuchs sein Selbstgefühl, er fuhr schneller und schneller, nur ein Gedanke wirbelte durch sein Gehirn:
… Sein Zuhause, gleich dort, noch hundert, noch sechzig, noch vierzig Kilometer.
Als Graux von der Überlandstraße in den Weg abbog, den er mit seinen Männern angelegt hatte, setzte ein sanfter Sprühregen ein. Die Erde war hier ziegelrot, nun, da sie naß war, hatte sie eine noch sattere Färbung angenommen, auch das Blattwerk zu beiden Seiten des Weges erstrahlte in dunklerem Grün und erschauerte leise unter den fallenden Tröpfchen.
Der Himmel war nicht mehr zu unterscheiden. Er hatte sich in eine schwere, niedrige Decke verwandelt, die wie Milchglas schimmerte. Die Erde hatte sich gleichsam flach hingestreckt. Das Gelände war fast eben. Außer einigen vereinzelten, zumeist verdorrten und fast kahlen Kapokbäumen, duckte sich das Leben in der Savanne im zwei Meter hohen Gras, das sich bisweilen lautlos bewegte und die Silhouette eines reglosen Schwarzen freigab.
Nur ganz selten war eine Hütte am Wegrand zu sehen. Und doch gab es hier allerorten welche, aber sie standen zwanzig oder dreißig Meter tief in der Savanne, und ihr Standort ließ sich nur auf Grund der Bananenstauden mit ihren tief herabhängenden Blättern bestimmen.
Ferdinand wußte, daß er während der ganzen Fahrt unter Beobachtung stand, daß viele Augen im Schutze des Blattwerks nach ihm Ausschau hielten. Der Regen trommelte in schnellerem Rhythmus auf Gras und Laub. Eine kleine nackte Negerin lief vorüber, als Regenschutz balancierte sie ein Bananenblatt auf dem Kopf. Über ihre nasse Haut liefen Kälteschauer.
Statt schneller zu fahren, kam Graux jetzt die Lust an, das Tempo zu verlangsamen, um den dumpfen, unschuldigen Frieden einer am Boden geduckten Welt tiefer auf sich einwirken zu lassen. Er mußte unwillkürlich lächeln, als er an seine letzte Heimkehr zurückdachte. Damals war Camille erst seit einem Jahr bei ihm gewesen. Camille war ein großer, ungeschlachter Junge, ein Bauernsohn aus dem Bourbonnais, der eben die Landwirtschaftsschule absolviert und den Graux als Verwalter mit nach Afrika genommen hatte.
Camille hatte seine Funktion sehr ernst genommen! Ob er sich im Herzen Frankreichs befand oder im Kongo, machte für ihn keinen Unterschied. Als Graux von seinem Europaaufenthalt zurückkehrte, hatte er alle seine Schwarzen, über fünfhundert Personen, in Reih und Glied vor dem Bungalow vorgefunden, der mit Fahnen und einem Spruchband geschmückt war. Knallkörper hatten ihn empfangen, Musik, Tänze und zu guter Letzt eine Begrüßungsrede, die man mit viel Mühe und Geduld einem kleinen Mädchen eingepaukt hatte.
Ferdinand hatte sich zu einem Wutausbruch hinreißen lassen, was bei ihm selten vorkam. Wenn er diesmal am Markt vorbeifuhr, würden es die Eingeborenen nicht wagen, ihm entgegenzulaufen. Etwa dreißig von ihnen hatten sich auf einem offenen Platz zusammengefunden. Fast alle schützten sich mit einem Bananenblatt vor dem Regen. Sie hatten ihre Waren auf dem Boden ausgebreitet: kleine Häufchen von Süßkartoffeln, von Jamswurzeln und Taros …
Es herrschte eine unwirkliche, gleichsam vom Metronom des Regens abgeteilte Stille.
Doch als die rote Backsteinmauer in sein Blickfeld geriet, sah Graux zwei Weiße auf sich zukommen.
2
Schon allein die Art, sich vorzustellen …! An Bord des Flugzeugs zum Beispiel hätte sich niemand einfallen lassen, nicht einmal die Offiziere, die in Khartum stationiert waren, so burschikos auf einen zuzugehen und seinen Namen zu nennen.
»Captain Philps …«
»Ich weiß«, mehr sagte Graux nicht.
Wegen des Eindringlings konnte der arme Camille seinen Herrn nicht so empfangen, wie er es gerne getan hätte.
»Sie sind schon von unserem Unfall unterrichtet? Kaum zu glauben, denn wir waren nicht in der Lage, mit irgendeinem Posten Kontakt aufzunehmen. Und das Motorrad Ihres Verwalters funktioniert nicht …«
»Die Pleuelstange ist durchgeschmolzen«, mischte sich Camille ins Gespräch. »Ich habe einen Läufer nach Niangara geschickt. Inzwischen dürfte er dort angelangt sein …«
»Dann wissen Sie auch«, fuhr Captain Philps fort, »daß Lady Makinson mit mir geflogen und verletzt ist. Ihre linke Kniescheibe ist luxiert. Ich habe getan, was in meiner Macht stand, aber …«
Die drei Männer
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