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Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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radelten den Weg zurück.
    Tim fühlte sich bedrückt. Seine
Gedanken beschäftigten sich mit der alten Frau. Alleinstehend, kränkelnd,
weitgehend hilflos — was nützte es ihr, daß sie ein schönes Häuschen hatte und
wohlhabend war? Zu den Nachbarn bestand offenbar wenig Kontakt. Denn die Leute
im Bungalow waren sehr erstaunt und ahnungslos gewesen, als Karl darum bat, ihr
Telefon zu benutzen, und natürlich den Grund nannte.
    Nicht mal anzeigen wird sie dieses
Froschgesicht, dachte Tim. Weil sie Angst hat. Aber wir sind da anders. Uns
entgeht er nicht.
    Sie erreichten die Armie-Gasse. Die
Telefonzelle war leer. Die Jungs hielten vor dem Haus Nr. 11.

6. Drogen für den deutschen Osten
     
    Dr. Helmut Landers, der nicht wirklich
so hieß, ließ seine Besucher durch die Hintertür ein.
    Jörg Schreyle knurrte einen Gruß über
die sperrigen Zähne. Mehmet Kozluk, der Türke, nickte nur, wobei sein schwarzer
Schnauzbart zitterte wie die Schwingen eines startenden Greifvogels.
    Landers schloß die Tür und ging dann
voran: durch den hinteren Flur seines neuen Heims, das er ja erst vor kurzem
erstanden hatte — für sündhaft viel Geld.
    Im Kaminzimmer knisterten Holzscheite
im offenen Feuer. Der Kamin war aus Natursteinen gemauert. Funken sprühten. Das
Holz war zu trocken. Der helle Teppich hatte Brandflecke.
    Landers ließ sich in einen Sessel
fallen. Seine Besucher setzten sich unaufgefordert. Sie benahmen sich zwar
nicht, als wären sie hier zu Hause, dennoch sehr vertraut. Und in Schreyles
Blicken lag eine Mischung aus Mißgunst und Neid, während er hierhin und dorthin
sah. Man konnte ahnen, was er dachte: tolle Bude! So möchte ich’s auch mal
haben.
    Mehmet interessierte sich nicht für die
luxuriöse Ausstattung, für die holzgetäfelten Wände, die kostbaren Bilder, die
Ledermöbel, die Bronze-Plastiken. Begehrlich sah er die Weinflasche an, die vor
Landers auf dem Tisch stand. Auf dem Tablett daneben waren Gläser.
    „Schenkt euch ein“, sagte Landers.
    Mehmet tat das sofort.
    Er war mittelgroß und gedrungen. Hände
wie die eines Steinbrucharbeiters. Schwarze Wolle bedeckte den breiten Kopf,
die Augen waren so dunkel wie der Schnauzbart. An Mehmet wirkte der beige
Kamelhaarmantel, als habe der Mann sich verkleidet.
    „Prost!“ Er hob sein Glas gegen Landers.

    Schreyle verzichtete. Er war
Kettenraucher, lehnte aber Alkohol ab.
    Ohne zu fragen, steckte er sich eine
Nikotinnudel ins Gesicht. Es war ein knochiges Gesicht ohne viel Fleisch. Helle
Augen und farbloses Haar. Farbe hatte Schreyle nur an den Zähnen. Die waren
gelb, auch braunfleckig, und standen so sperrig, als habe er Lücken.
    „Unser Kurier“, sagte er, „hat aus
Istanbul angerufen. Er kommt morgen mit dem Nachtexpreß.“
    „Welcher Kurier?“ fragte Landers.
    Das war berechtigt, denn es gab deren
14.
    „Attila Alico.“
    Landers nickte. „Wieviel?“
    „Er bringt fünf Kilo Heroin. Vom
besten.“
    „Wir können das strecken“, sagte Mehmet
in fast akzentfreiem Deutsch. „Das reicht dann für ganz Sachsen und
Brandenburg. Vielleicht auch noch für Thüringen.“
    Die Fettfalten in Landers Gesicht
glätteten sich.
    „Habe heute nachmittag gute Nachricht
erhalten. Unsere Organisation umfaßt jetzt 54 zuverlässige Leute. Die sind ganz
wild darauf, als Dealer die große Kohle zu machen. Und Abnehmer sind in den
neuen Bundesländern zuhauf: Neugierige, die in die Laster der westlichen Welt
reinschmecken wollen. Wie ich euch schon immer gesagt habe: ein Riesenmarkt tut
sich da auf, der nur auf uns wartet. Wir besetzen ihn. Wir sind die ersten.“
    „Ich bin nicht so zuversichtlich“, Schreyle
paffte. „Die Ossis haben kein Geld.“
    „Du verwechselst das, Junge. Geld ist
massenhaft da. Auf den Sparkonten liegen Vermögen. Hat sich angehäuft in Jahrzehnten,
weil die Leute drüben nichts ausgeben konnten. Ich kenne mich aus. Schließlich
bin ich von dort. Was du meinst, Schreyle, ist die wirtschaftliche Situation.
Betriebe, Industrie, Landwirtschaft — klar, das liegt erst mal am Boden. Kann
ja gar nicht anders sein nach dieser Vergangenheit. Aber du wirst sehen, auch
das macht sich. Sind ja schließlich Deutsche in den fünf neuen Ländern.
Deutsche können arbeiten.“
    „Wir auch“, sagte Mehmet. „Und nicht
nur bei der Müllabfuhr.“
    „Ihr auch“, nickte Landers. „Und ich
sage euch nochmals: Drogen werden bald die begehrteste Ware sein in den neuen
Bundesländern. Heroin, Kokain. Und für die Einsteiger gibt’s

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