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Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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erklärte, weshalb sie — die Jungs — so
rasch hätten handeln müssen. Er berichtete, wie es gelaufen war und wie sich
aus dem einen das andere ergeben hatte. Zwar wurde das Ziel nicht erreicht,
aber das Bemühen war groß gewesen.
    „Ist schon gut, Tim“, Sauerlich
lächelte. „Ihr wolltet mir helfen. Ich weiß, wenn es um Gerechtigkeit geht,
seid ihr nicht zu halten. Und darin dürft ihr nie nachlassen. Wegen diesem Otto
Pawelke mache ich mir keine Sorgen. Es wäre ja gut möglich gewesen, daß er bei
uns verunglückte. Denn wir hatten nicht gestreut. Was mich ärgert, ist das
Verhalten von diesem Landers. Ein Grobian. Ein rüder Kerl, der nicht hierher
paßt. Weiß der Himmel, woher der kommt, was er treibt, wie er sein Geld
verdient. Haus und Grundstück dort drüben haben 1,6 Millionen Mark gekostet.
Keine Kleinigkeit. Solange Professor Evasohn dort wohnte, war alles in Ordnung.
Leider ist er nun ausgewandert nach Israel. Dort wird er gebraucht. Wir hatten
ihn alle sehr gern.“
    „Ich hätte jetzt gern ein Stück
Braten“, sagte Klößchen, „oder habt ihr etwa alles vertilgt?“
    Die Streiwitzens lachten.
    Dann kam auch schon Amalie aus der
Küche und brachte Kalbsrücken für die Jungs. Ein toller Schmaus war das.
    Tim fragte sich, was daran die Ossi-Art
war, kam aber nicht dahinter. Vielleicht kam die Bezeichnung nur aus dem
üblichen Küchen-Chinesisch, das auf französisch und mit bombastischen Namen
schlichte Mahlzeiten aufwertet. Weshalb man ja in einem Feinschmeckerlokal „Pommes
lyonaise“ bestellen muß, wenn man Bratkartoffeln will.
    Die Jungs mampften.
    Erna und Hermann Sauerlich, Elke,
Manfred und Dieter Streiwitz sowie Gaby waren beim Nachtisch.
    Ihre Mienen — das fiel Tim auf — legten
alle Fröhlichkeit ab. Und Sauerlich knotete den alten Gesprächsfaden wieder an,
indem er sich an Manfred Streiwitz wandte, den Vater der Gäste.
    „Willst du darüber sprechen, Manni?
Oder ist es dir unangenehm?“
    Ein Schatten legte sich auf das hagere
Gesicht. Manni, wie Streiwitz offenbar genannt wurde von seinen Verwandten,
starrte auf die Eisbombe und schloß die Kiefer wie Fangeisen.
    „Ich glaube“, sagte er leise, „ich
würde ihn umbringen, wenn er mir noch mal begegnet.“
    „Manni“, flüsterte Elke, seine Frau,
„ich bitte dich.“
    „Naja, man sagt das so.“
    „Kann ich verstehen“, nickte Sauerlich.
    Tim und seine Freunde spitzten die
Ohren. Offenbar hatte Streiwitz schreckliches Unrecht erlitten.
    Elke, die sich häufig an ihr
strohblondes Haar griff, wandte sich an die TKKG-Bande.
    „Ihr wißt das nicht. Mein Mann hat
drüben — in der alten DDR — drei Jahre im Zuchthaus gesessen. Von 82 bis 85.
Drei Jahre. Und seitdem — nicht wahr, Manfred — ist deine Gesundheit
beeinträchtigt. Die Nieren! Und auch seelisch — so ein Zuchthaus-Aufenthalt
kann einen Menschen zerbrechen.“
    „Sind Sie aus politischen Gründen
verurteilt worden?“ fragte Tim den hageren Mann.
    Streiwitz nickte. „Du hast es erfaßt.
Wegen angeblicher staatsfeindlicher Reden hat man mir drei Jahre meines Lebens gestohlen.
Angeblicher — sage ich! Denn es war nur eine einzige — persönlich adressierte —
Bemerkung.“
    Nach einem Moment der Stille sagte Sauerlich:
„Diese Zeiten sind ja nun, Gott sei Dank, vorbei, Manni. Auch ihr lebt jetzt in
einem Rechtsstaat. Den unseligen SED-Staat gibt’s heute nicht mehr.“
    „Aber die Bonzen und Menschenschinder,
die ihn verkörpert haben, sind alle noch da, Hermann. Die sind nur auf
Tauchstation gegangen, hocken in ihren Höhlen und warten ab. Warten darauf, ob
sich nicht Gelegenheit bietet, wieder an die Schaltstellen der Macht zu kommen.
Es ist eine Charakterfrage, Hermann. Wer so ist, der ist so. Der Mensch ist das
schlimmste Raubtier, wenn man ihn läßt.“
    „Nicht alle, Manni, nicht alle.“
    „Anwesende natürlich ausgenommen.“ Streiwitz
hätte jetzt lächeln müssen. Aber dazu konnte er sich nicht entschließen. Statt
dessen nahm er einen Löffel voll Eisbombe.
    „Was für eine Bemerkung“, fragte Tim,
„haben Sie gemacht?“
    Streiwitz blickte zur vier Meter hohen
Decke empor, als müsse er sich erinnern.
    „Die Bemerkung — ja. Du mußt wissen: Ich
bin Lehrer. Natürlich wollte ich meine Stellung nicht verlieren. Deshalb war
ich vorsichtig mit meinem Äußerungen. Der Schulrat,
mir übergeordnet, hieß Malchow — Emmerich Malchow. Mir kommt die Galle hoch, wenn
ich nur an ihn denke. Schulrat — vonwegen! Das war seine

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