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Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Geht
spazieren. Ich warte. Natürlich hinter dem Haus. Dann höre ich Geräusche vorn —
und komme dazu, wie jemand mir die Arbeit abnimmt. Ein junger Kerl hatte den Landers
gerade niedergeschlagen und beraubt. Ich habe mich versteckt und gewartet. Der
Räuber verschwand. Landers lag flach, war groggy für einen Moment, regte sich
aber schon wieder. Und tatsächlich, der Dickwanst stemmte sich hoch auf die
Knie. Da habe ich zugeschlagen — mit dem Pistolenkolben. Zack! Weil er kniete,
hatte er die richtige Höhe für mich. Zack! Den sind wir los, Chef! Dein Auftrag
ist erfüllt. In den neuen Bundesländern werden nur wir die Drogen verteilen.
Nur wir!“
    „Gut. Und die andern?“
    „Schreyle weiß, daß du Landers gedroht
hast. Außerdem habe ich eine Schau wegen des Überfalls auf Landers mit Schreyle
abgezogen und ihn ganz schön eingeschüchtert.“
    „Dann weiß er jetzt auch, was ihn
erwartet, wenn er sich querlegt.“
    „Ganz sicher. Heute nacht werde ich ihn
beschwatzen. Und Mehmet Kozluk sowieso. Aber der macht keine Schwierigkeiten.
Der ist Türke und arbeitet lieber für dich als für Landers. Heute nacht also
werde ich den beiden klarmachen, daß es klug und clever wäre, wenn wir uns dir
andienen und dir die Adressen der ostdeutschen Dealer Zuspielen. Ich
garantiere, Chef: Die beiden sehen das ein und machen mit. Dann fällt uns alles,
was Landers bis jetzt aufgebaut hat, wie eine reife Frucht in den Schoß.“
    „Ich bin zufrieden mit dir. Du bist
klein von Gestalt, aber dein Mut ist groß wie der Durst des Kamels nach dem
Wüstenritt.“
    Attila fühlte sich geschmeichelt und
sagte: „Das Heroin ist ja schon bezahlt. Jetzt verdienen wir nochmal daran.
Schreyle und Mehmet werden es strecken — dann fließt es in unseren neuen,
ostdeutschen Drogenmarkt.“
    „So soll es sein“, sagte Yussuf und
beendete das Gespräch.
     
    *
     
    Beschämend war’s und traurig, aber
vielleicht typisch für die menschliche Kälte in den großen Städten und in der
Gegenwart vor der Jahrtausendwende. Ja, das war’s.
    Irene Hansen dachte darüber nach,
während sie auf der abgewetzten Couch saß und türkischen Mokka schlürfte.
    Eine ärmliche Wohnung, viel
bescheidener noch als die in der Armie-Gasse 11, vierter Stock, hinten.
    Makbule, die junge türkische Putzfrau,
war trotzdem zufrieden. Sie hielt die beiden Zimmer sehr sauber. In der
winzigen Küche konnte man Griesbrei vom Fußboden essen, ohne daß der sich
verfärbt oder anders geschmeckt hätte.
    Beschämend, dachte Irene, und traurig,
daß mir keine andere Wahl blieb.
    Als sie Hals über Kopf von zu Hause
getürmt war — nach ihrem raffinierten Betrug an den Dealern —
, hatte sie nicht gewußt, wohin. Verreisen — an welchen Ort?
Untertauchen — wie und zu wem?
    Sie hatte niemanden — keine Freunde,
keine Familie. Nie war Irene das so bitter bewußt geworden. Aber sie mußte
rasch weg; und so kam es, daß sie plötzlich bei der jungen Türkin vor der Tür
stand — in ihrer Not.
    Diese Gastfreundschaft!
    Makbule — die nicht nur bei der Bundesbahn
putzte, sondern auch in einem Bürohaus, einer Pfarrei, einem Schnellimbiß und
bei einem Rechtsanwalt — Makbule hatte sich gefreut, als sei Weihnachten.
    „Natürlich, Irene, du können bleiben
ganze Nacht und so lange du wollen. Du mein Bett nehmen, ich auf Couch
schlafen. Ich mich freuen, sehr freuen.“
    Makbule lebte noch nicht lange in
Deutschland. Ihr Sprachschatz war beachtlich, aber die Konjugation ( Beugung )
von Zeitworten wollte ihr nicht in den Kopf. Makbule benutzte immer die
Grundform.
    Makbule fragte nicht, weshalb Irene
ihre Wohnung verlassen hatte. Die Türkin ahnte es längst. Auch daß Irene nicht
krank war, bedeutete für Makbule keine Überraschung. Irenes angebliches
Unwohlsein war nur ein Vorwand gewesen, sich aus dem Job wegzudrücken.
    Während beide bis lange nach
Mitternacht redeten — über Arbeitskolleginnen, die Teuerung, die Unterschiede
zwischen Deutschland und der Türkei — da hatte Makbule plötzlich, das Thema
wechselnd, den entscheidenden Satz gesagt.
    „Du seien auf Flucht.“
    „Wie bitte? Was meinst du?“
    „Du seien auf Flucht vor bösen
Menschen. Verdorbener Zucker seien kein verdorbener
Zucker, seien Rauschgift. Du deshalb schnell nach Hause. Aber dann Mann zu mir
kommen in Kurswagen und fragen nach Paket. Mann seien Polizist. Ich glauben das. Und ihm sagen deine Adresse. Aber du jetzt hierund das bedeuten: Mann nicht Polizist, Mann
Verbrecher. Du

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