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Weißes Gift im Nachtexpreß

Weißes Gift im Nachtexpreß

Titel: Weißes Gift im Nachtexpreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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und hatten den Park fast erreicht, in dem sich
gestern abend Malchow und die beiden Streiwitzens begegnet waren.
    Die Grünanlage ist nicht groß —
vielleicht so wie drei Fußballplätze. Eichen wachsen dort, Kastanien, Buchen,
Fichten und Edeltannen. Den Rasen pflegen die Stadtgärtner. Die Wege sind
asphaltiert.
    Die TKKGler radelten am Eingang vorbei,
mit eingezogenen Köpfen, denn der Regen peitschte von vorn.
    Trotzdem — aus Instinkt — blickte Tim
nach links, also in den Park. Und sah gerade noch, wie Dieter Streiwitz geduckt
hinter Büschen verschwand.
    Tim bremste.
    „Moment, Freunde, bin gleich wieder
da.“
    Auf seinem Rennrad sauste er in den
Park.
    Klößchen rief noch: „Zur Toilette
kannst du doch bei uns.“
    Aber Tim war schon an der Stelle, wo
der Streiwitz-Sohn sich durch regenglitschige Zweige in die Pampa gezwängt
hatte.
    Tim legte sein Rad auf den Boden und
nahm denselben Weg. Das war nicht nur Neugier. Noch weniger hatte er die
Absicht, dem 17jährigen Hallo zu sagen. Nein, dessen Haltung hatte Tims
Mißtrauen geweckt. Körpersprache sagt viel. Und die von Dieter war
heimlichtuerisch — als wollte er nicht gesehen werden.
    Immergrüne Büsche, mannshoch, hatten
sich zur großen Gruppe vereint, ohne Einblick von draußen, aber mit Inseln, wo
braune Nadeln den Boden bedeckten. Darunter war die Erde locker und feucht.
    Dieter kniete, Tim den Rücken
zugewandt.
    Mit einem Blechstück, wohl dem Deckel
einer Konservendose, grub der 17jährige ein Loch.
    Dort sollte verbuddelt werden, was die
Supermarkt-Tüte enthielt. Sie lag neben Dieter. Er trug einen Regenmantel, der
wohl noch in einem volkseigenen Betrieb entstanden war.
    Tims Nackenhaare kräuselten sich vor
Entsetzen.
    Was in der Plastiktüte war, hob sich ab
als Kontur.
    O nein! dachte der TKKG-Häuptling. So
ein verdammter Mist! So ein Elend! So ein Unglückstag!
    Er beugte sich vor, griff an Dieter
vorbei und nahm die Tüte.
    Streiwitz-Junior fuhr hoch und herum.
Entsetzen zerriß ihm fast das Gesicht. Er wurde so bleich, als falle er jeden
Moment um.

    Tim sah in die Tüte. Nur, um sich zu
vergewissern.
    Sie enthielt: eine goldene Armbanduhr,
eine Pistole — die Tim schon kannte — , einen
Schlüsselbund, einen Diamantring für Männer und eine elegante, dicke
Brieftasche.
    Alle diese Sachen gehörten Emmerich
Malchow.
    Tim hob den Blick.
    Dieter begann zu zittern wie Espenlaub.
    „Vorab“, sagte Tim, „will ich nur eins
wissen: Vergräbst du das im Auftrag deines Vaters? Oder vergräbst du das auf
eigene Rechnung?“
    Dieter setzte zweimal zum Sprechen an.
Dann: „Ich... ich habe ihn niedergeschlagen. Vater... hat nichts damit zu tun.
Er weiß nichts. Mutter weiß nichts. Ich wollte... Es ist über mich gekommen,
Haß. Was Malchow Vater angetan hat — hier wäre dieser Dreckskerl dafür nicht
bestraft worden.“
    „Du hast ihn fast umgebracht“, sagte
Tim. „Der Mann bleibt ein Krüppel.“
    „Nein. Habe ich nicht.“
    „Was nun? Hast du ihn niedergeschlagen
— ja oder nein?“
    „Ja. Aber doch nur mit meinem Schuh.
Mit der Gummisohle. Kein harter Schlag. Malchow war zwar bewußtlos, aber er hat
nicht mal geblutet.“
     
    *
     
    Alle im Haus sprachen gedämpft. Tim
hatte den Eindruck, man gehe auf Zehenspitzen.
    Elke Streiwitz lag im Bett.
Nervenzusammenbruch. Dr. Ahderlasser, der Sauerlichsche Hausarzt, hatte sie mit
einer Injektion ruhiggestellt.
    Manfred Streiwitz saß am Bett seiner
Frau und hatte Tränen in den Augen. Einesteils aus Sorge um seinen Sohn,
andererseits vor Rührung über dessen ,edelmütige Unbeirrbarkeit’ — wie er das Motiv für den Racheakt nannte.
    Die Sauerlich-Senioren standen unter
einem gelinden Schock, ebenso Amalie, die Köchin. Klößchen futterte vor
Aufregung schon die zweite Packung Schoko-Schachfiguren. Tim, Karl und Gaby
saßen mit ernsten Mienen herum.
    Lediglich Oskar war guter Dinge und
stupste Gaby oder Tim immer wieder mit der Pfote an, was heißen sollte: Spiel
mit mir!
    Tim kraulte ihm die Ohren.
    Kommissar Glockner war sofort gekommen.
Jetzt saß er mit Dieter im sogenannten Kleinen Salon. Dieser Nebenraum der
Sauerlich-Villa mißt 44 Quadratmeter. Nur selten wird ein Straftäter in so
luxuriösem Rahmen verhört.
    „Es handelt sich“, sagte Tim, „um einen
Halbschuh. Nicht sehr schwer. Dicke Gummisohle. Und Dieter ist nicht sehr
athletisch, hat außerdem null Ahnung von Kampfkunst. Er spielt Tischtennis.
Unmöglich also, daß von seinem Niederschlag diese furchtbare

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