Weit Gegangen: Roman (German Edition)
Jetzt kommen die ersten Tritte. Er tritt mich in den Bauch und jetzt gegen die Schulter. Am schmerzhaftesten ist es, wenn Knochen auf Knochen trifft.
»Du scheißnigerianisches Arschloch!«
Jetzt scheint er sich zu amüsieren, und das gibt mir Anlass zur Sorge. Wo Vergnügen ist, ist oft auch Haltlosigkeit, und dann passieren Fehler. Sieben Tritte in die Rippen, einen gegen die Hüfte, dann ruht er sich aus. Ich hole tief Luft und überschlage den mir zugefügten Schaden. Er ist nicht groß. Ich umklammere eine Ecke der Couch und bin jetzt entschlossen, ruhig liegen zu bleiben. Ich war nie ein Kämpfer, gestehe ich mir endlich selbst ein. Ich habe viele Grausamkeiten überlebt, aber ich habe nie Mann gegen Mann gekämpft.
»Scheißnigerianer! Völlig bescheuert!«
Er ringt nach Atem, die Hände auf die gebeugten Knie gestützt.
»Kein Wunder, dass ihr Wichser noch in der Steinzeit lebt.«
Er versetzt mir noch einen Tritt, schwächer als die anderen, aber er trifft mich genau an der Schläfe, und ein weißer Lichtblitz füllt mein linkes Auge.
In Amerika bin ich schon häufig als Nigerianer bezeichnet worden – wahrscheinlich ist es das bekannteste afrikanische Land –, aber ich bin nie getreten worden. Wenn ich auch das zur Genüge mit angesehen habe. Ich glaube, was Gewalt angeht, gibt es nur weniges, was ich im Sudan oder in Kenia nicht gesehen habe. Ich habe Jahre in einem äthiopischen Flüchtlingslager verbracht, und dort habe ich gesehen, wie zwei Jungen, etwa zwölf Jahre alt, so heftig um ihre Essensrationen kämpften, dass der eine den anderen tottrat. Natürlich hatte er nicht die Absicht gehabt, seinen Gegner zu töten, aber wir waren jung und sehr geschwächt. Du kannst nicht kämpfen, wenn du seit Wochen nicht mehr ordentlich gegessen hast. Der Körper des toten Jungen war nicht für brutale Schläge gewappnet, die Haut straff über spröde Rippen gespannt, die sein Herz nicht mehr richtig schützen konnten. Er war tot, ehe er den Boden berührte. Es war kurz vor Mittag, und nachdem der Junge weggetragen worden war, um in der steinigen Erde begraben zu werden, bekamen wir gedünstete Bohnen und Mais zu essen.
Ich nehme mir vor, nichts mehr zu sagen und einfach abzuwarten, bis Puder und seine Freundin gehen. Lange werden sie nicht bleiben; bestimmt werden sie schon bald alles mitgenommen haben, was sie wollen. Ich sehe die Sachen, die sie auf unserem Küchentisch stapeln und mit denen sie die Wohnung verlassen werden – der Fernseher, Achor Achors Laptop, der Videorecorder, die schnurlosen Telefone, mein Handy, die Mikrowelle.
Der Himmel wird dunkler, meine Gäste sind seit rund zwanzig Minuten in unserer Wohnung, und Achor Achor wird erst in einigen Stunden kommen, wenn überhaupt. Er hat einen Job, wie ich ihn früher hatte – im Lager eines eleganten Möbelgeschäfts, wo er Musterproben zusammenstellt und an Innenarchitekten verschickt. Und auch wenn er nicht arbeitet, ist er selten zu Hause. Nach vielen Jahren ohne weibliche Gesellschaft hat Achor Achor nun eine Freundin gefunden, eine Afroamerikanerin namens Michelle. Sie ist hübsch. Sie haben sich am Community College kennengelernt, in einem Quiltkurs, für den Achor Achor sich versehentlich angemeldet hatte. Er ging hinein, bekam einen Platz neben Michelle und blieb. Sie riecht nach Zitrusparfüm, einem blumigen Zitrusduft, und ich sehe Achor Achor immer seltener. Es gab mal eine Zeit, als ich mir so etwas auch für mich und Tabitha vorstellen konnte. Ich stellte mir vor, wie wir unsere Hochzeit planten und eine Schar Kinder hervorbrachten, die Englisch sprachen wie die Amerikaner, doch Tabitha lebte in Seattle, und derlei Pläne lagen noch in weiter Zukunft. Vielleicht idealisiere ich das jetzt. Das ist mir in Kakuma auch einmal passiert. Ich verlor jemanden, der mir sehr nahe stand, und glaubte hinterher, ich hätte ihn retten können, wenn ich ihm ein besserer Freund gewesen wäre. Aber jeder muss gehen, ganz gleich, von wem er geliebt wird.
Jetzt beginnen sie damit, unser Eigentum hinauszuschaffen. Puder streckt die Arme aus, und seine Komplizin stapelt unsere Sachen darauf – zuerst die Mikrowelle, dann den Laptop, jetzt die Stereoanlage. Als der Berg Puder bis ans Kinn reicht, geht die Frau zur Wohnungstür und öffnet sie.
»Scheiße!«, sagt sie und schließt die Tür rasch wieder.
Sie sagt Puder, dass draußen, auf unserem Parkplatz, ein Polizeiauto steht und ihrem eigenen Wagen den Weg versperrt.
»Scheiße, Scheiße,
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