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Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Weit Gegangen: Roman (German Edition)

Titel: Weit Gegangen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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fünf Jungen und drei Mädchen. Ich nannte sie Geschwister. Wir gingen gemeinsam zur Schule, wir holten gemeinsam Wasser. Doch seit unserer Umsiedelung in die Vereinigten Staaten sind wir Lost Boys wieder allein. Es gibt nur sehr wenige Sudanesinnen in den USA und sehr wenige ältere Sudanesen, daher verlassen wir uns in praktisch allen Dingen des Lebens aufeinander. Das hat seine Nachteile, denn sehr oft beschäftigen wir uns mit haltlosen Gerüchten und leiden an extremer Paranoia.
    Als wir hier ankamen, blieben wir wochenlang in unseren Wohnungen und trauten uns nur nach draußen, wenn es unumgänglich war. Einer unserer Freunde, der schon länger in den USA war als wir, war gerade auf dem Nachhauseweg überfallen worden. Es war leider so, dass die Täter auch damals junge afroamerikanische Männer waren, und wir dachten darüber nach, wie wir wohl wahrgenommen wurden. Wir fühlten uns beobachtet, verfolgt. Wir Sudanesen sind leicht zu erkennen; niemand sonst auf der Erde sieht so aus wie wir. Wir sehen nicht mal so aus wie andere Ostafrikaner. Die Abgeschiedenheit vieler Teile des Südsudans hat dafür gesorgt, dass unsere Blutlinie größtenteils unvermischt blieb. In jenen Wochen gingen wir kaum vor die Tür, nicht nur aus Furcht vor raubgierigen jungen Männern, sondern auch aus Sorge, die Beamten der amerikanischen Einwanderungsbehörde könnten ihre Meinung über uns ändern. Aus heutiger Sicht ist es beinahe amüsant, wie naiv wir waren, wie verzerrt unsere Sicht war. Alles schien möglich. Wir hielten es für durchaus denkbar, dass man uns allesamt unverzüglich zurück nach Afrika schicken würde, wenn wir zu sichtbar würden oder falls ein paar von uns sich Ärger einhandeln sollten. Vielleicht würde man uns auch nur einsperren. Achor Achor glaubte, wir könnten hingerichtet werden, falls herauskam, dass wir mal mit der SPLA zu tun gehabt hatten. In Kakuma logen viele von uns in ihren Antragsformularen und bei Gesprächen mit den Behörden. Wir wussten, wenn wir irgendeine Verbindung zur SPLA zugaben, würde man uns nicht nach Atlanta, North Dakota, Detroit schicken. Wir würden in Kakuma bleiben. Also logen diejenigen von uns, die lügen mussten. Die SPLA war sehr früh Teil unseres Lebens geworden, und über die Hälfte der jungen Männer, die sich Lost Boys nennen, waren Kindersoldaten oder etwas Ähnliches. Doch das ist ein Teil unserer Geschichte, über den wir, wie man uns gesagt hat, nicht reden sollen.
    Also blieben wir in unseren vier Wänden. Wir saßen fast Tag und Nacht vor dem Fernseher, nickten zwischendurch ein und spielten hin und wieder eine Partie Schach. Einer der Männer, die in jenen Tagen bei uns wohnten, hatte bis auf einige wenige Male in Kakuma noch nie ferngesehen. Ich hatte in Kakuma und in Nairobi ferngesehen, aber niemals etwas Vergleichbares erlebt wie die 120 Kanäle, die wir in jener ersten Wohnung empfangen konnten. Das war einfach zu viel, um es an einem Tag oder zwei oder drei zu verkraften. Eine Woche saßen wir fast ununterbrochen vor dem Fernseher, und danach waren wir ganz aufgelöst, mutlos und zutiefst verwirrt. Gegen Abend wurde jeweils einer von uns losgeschickt, um etwas zu essen zu holen und was wir sonst noch so brauchten, immer von der Angst verfolgt, auch wir könnten Opfer eines Überfalls durch junge afroamerikanische Männer werden.
    Die sudanesischen Stammesältesten hatten uns zwar vor dem Verbrechen in den Vereinigten Staaten gewarnt, doch so etwas gehörte nicht zu unserer offiziellen Einweisung. Als wir nach zehn Jahren endlich erfuhren, dass wir das Lager verlassen würden, wurden wir in einem zweitägigen Kurs darüber unterrichtet, was wir in den USA sehen und hören würden. Ein Amerikaner namens Sasha hielt uns einen Vortrag über die amerikanische Währung, über Berufsausbildung, Autos, über die Höhe der Mieten, über Klimaanlagen, die öffentlichen Verkehrsmittel und Schnee. Viele von uns sollten in Orte wie Fargo und Seattle geschickt werden, und um uns einen Eindruck vom dortigen Klima zu verschaffen, verteilte Sasha Eiswürfel. Viele der Kursteilnehmer hatten noch nie Eis in der Hand gehabt. Ich schon, aber nur weil ich im Camp für die Jugendarbeit zuständig war und auf dem UN-Gelände schon so einiges gesehen hatte, darunter auch Lagerräume für Lebensmittel, Sportgeräte, die von Japan und Schweden gespendet worden waren, oder Filme mit Bruce Willis. Sasha erklärte uns zwar, dass selbst die erfolgreichsten Männer in Amerika nur

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