Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
Zwei Stunden habe sie benötigt, um Ordnung ins Chaos zu bringen. Doch Frau L. habe kein Verständnis gezeigt. »Sie drohte uns mit dem Rausschmiss. Juanita ist auch ganz fertig.« Juanita ist eine von vier Philippinerinnen, mit denen Christine zusammenarbeitet. Die Asiatinnen leiden noch mehr unter dem Diktat der Chefin als Christine. Denn während meine Frau ihr gelegentlich Paroli bietet, können ihre vier Kolleginnen nur schweigen. Wie Tausende von Immigrantinnen in schlechtbezahlten Berufen fürchten sie, den Job zu verlieren und damit möglicherweise das Recht, in Australien zu bleiben. Denn sie haben ein deutlich beschränkteres Visum als wir. So lassen sie sich wie Sklavinnen behandeln. Jeden Abend Tränen, jede Nacht Angst vor dem Rausschmiss. Hunderttausende von Ausländerinnen und Ausländern leben so in Australien.
Am selben Abend beschließen wir, dass Christine ihren Putzwagen stehenlassen und sich voll auf die Krankenschwesternprüfung vorbereiten solle.
Trotzdem wächst meine Sorge um sie. Wir überlegen gerade, länger in Australien zu bleiben – vielleicht fünf Jahre. So ein Haus verpflichtet. Aber wie viele Immigranten fragen wir uns, ob wir die Härte des Alltags, die negativen Erfahrungen und die Rückschläge weiter in Kauf nehmen wollen. Christine verkriecht sich wieder hinter ihre Bücher. Und ich gehe ins Wasser. zehn Meter tief, um genau zu sein.
KAPITEL 4
»Runter«, sagt Mario und steckt sich das Endstück, das mit einem Schlauch mit dem Lufttank verbunden ist, in den Mund. Mit dem Daumen deutet er nach unten. Wir treiben in unseren Tauchanzügen gut hundert Meter vor den Klippen nördlich von Coogee auf der Wasseroberfläche. Wir lassen die Luft aus unseren Tarierwesten, das Gewicht des Bleis an unseren Gürteln und die schwere stählerne Luftflasche ziehen uns rasch in die Tiefe. In der Distanz kann ich Angler sehen, die auf den Klippen stehen, ihre langen Ruten in der einen Hand, ein Bier in der anderen. Obwohl es fast windstill ist und das Meer ruhig, donnern drei Meter hohe Wellen gegen die gelbbraunen Sandsteinfelsen. Mario und ich sind schnell zehn Meter tief. Wir geben uns gegenseitig das internationale O.-K.-Zeichen – Zeigefinger und Daumen bilden ein O. Es kann losgehen. Langsam lassen wir uns in Richtung Süden treiben, parallel zur Küste, in sicherer Distanz zu den Klippen. Unser Ziel ist, in gut einer halben Stunde ein paar hundert Meter zu tauchen, die Landschaft unter Wasser zu beobachten und in der Nähe des Strandes von Coogee wieder aus dem Wasser zu kommen. Kein Stress. »Wir nehmen es locker«, hatte Mario gesagt, als wir uns oben auf dem Parkplatz in unsere Tauchanzüge zwängten. »Und dann essen wir Spaghetti. Mit Meeresfrüchten. Und trinken einen Chianti!«
Das erste Mal, als ich Mario traf, mochte ich ihn überhaupt nicht. Ein italienischer Gigolo, dachte ich, komplett mit Dreitagebart und spiegelnder Sonnenbrille. Ein Mann, der nichts anderes im Kopf zu haben schien als das Dolce Vita. Das Leben schien für ihn eine Antipasto-Platte zu sein, von der er sich pflückt, was ihm schmeckt, und den Rest liegen lässt. Doch meine anfängliche Zurückhaltung wich bald Bewunderung. Mario lebt für seine kleine Tochter. In einer wilden Nacht hatte er die kleine Vanessa mit einer Australierin gezeugt, bevor diese sich daran erinnerte, dass sie eigentlich lesbisch ist. Vanessa ist alles für Mario. Er ergreift jede Chance, ein guter Vater zu sein. Als ungelernter Ausländer hat Mario es besonders schwer, Arbeit zu finden. Er war schon Teppichverkäufer, Fischverkäufer, Bürogehilfe und Packer. Und er hat einen Traum. Er will Tauchlehrer werden. An diesem Samstag wird er nicht nur diesen Traum beinahe verlieren, sondern auch sein Leben. Und ich mit ihm.
In fünfzehn Metern Tiefe schweben wir durch das Wasser. Wir lassen uns treiben. Die Strömung entlang der Küste vor Sydney ist konstant und ziemlich stark. Nur selten brauchen wir unsere Flossen, um voranzukommen. Das Wasser ist klar, die Strahlen der Sonne brechen sich am Plankton. Ein Schwarm kleiner Fische tanzt über uns, fast wie in einem Ballett. Mario, der angehende Tauchlehrer, hat die Führung übernommen. Mit dem Kompass orientiert er sich, zeigt mir den Weg. »Hier runter«, deutet er mit seiner Hand. Parallel zur Küste, Richtung Süden. Nach dem Stress mit Christines Arbeit in den letzten Wochen bin ich froh, wieder im Wasser zu sein. Andere machen Yoga, um sich zu entspannen, ich gehe mit Fischen
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