Weit weg im Outback: Unser Leben in Australien (German Edition)
flirten. Tauchen ist kein Leistungssport, und das gefällt mir. Man taucht, um die Natur zu bewundern und die Schwerelosigkeit im Wasser zu genießen, nicht um einen Rekord zu brechen oder irgendjemandem etwas zu beweisen. Vor uns schwimmen zwei kleine Port-Jackson-Haie. Sie sind ungefährlich für Menschen. Unter uns schwingen die dicken Blätter von Seetang im Takt mit der Strömung. Graubraun und wuchtig sehen sie aus, wie tanzende Soldaten. Ich bin bei jedem Tauchgang mehr fasziniert von der Schönheit und Vielfalt der Unterwasserwelt rund um Sydney. Wenn Taucher auf die Australienkarte sehen, denken sie in erster Linie ans tropische Barrier Riff im Bundesstaat Queensland und vielleicht an das Ningaloo Riff in Westaustralien. Sydney steht kaum auf der Liste der bevorzugten Tauchplätze. Dabei sind in den kühleren Gewässern Australiens die Flora und Fauna ebenso einzigartig wie im tropischen Norden. Sydney hat heute einen der saubersten Häfen der Welt. Noch in den sechziger Jahren dienten viele seiner Seitenarme als Entsorgungskammer für Sondermüll und Abwässer. An vielen Orten glich der Meeresboden einer Mondlandschaft. Geröll, abgestorbene Schwämme, rostende Tonnen, gefüllt mit tödlichen Chemikalien. Striktere Umweltgesetze brachten die Wende. Die Natur holte sich zurück, was ihr gehörte. Auch die Tauchgründe außerhalb des Hafens, entlang der Küste, sind faszinierend. Steile Kliffe mehrheitlich, unterbrochen durch Sandstrände. Strömungen sind allerdings eine dauernde Gefahr. Nicht nur für Taucher, auch für Schwimmer. An Stränden wie Bondi und Coogee geraten jeden Tag Menschen in Bedrängnis und müssen von den Lifesavern, den Rettungsschwimmern, aus dem Wasser geholt werden.
Eben war Mario noch neben mir, jetzt sehe ich ihn nicht mehr. Solche Situationen sind beim Tauchen nicht ungewöhnlich. Ein »Buddy«, wie der Tauchpartner heißt, sieht sich was an, eine Koralle, einen Fisch, eine Muschel. Und fällt dabei etwas zurück. Nicht unbedingt ein Grund zur Beunruhigung. Doch es gibt strikte Regeln, wie man sich in einem solchen Fall zu verhalten hat. Ich schwebe im Wasser und halte Ausschau nach Mario. In zehn Metern Entfernung sehe ich ihn. Ich mache das O.-K.-Zeichen. Er schüttelt den Kopf und scheint angestrengt zu schwimmen. Und dann spüre ich sie auch.
Die Strömung.
Als würde mich eine gigantische, unsichtbare Hand packen, werde ich weggestoßen. Ich trete in die Flossen, hoffe, wieder auf unseren Weg zurückzufinden. Doch die Anstrengung ist zu groß. Ich atme zu schnell. Meine Luftflasche wird gleich leer sein. Ich spüre, wie ich immer stärker, immer schneller in Richtung Land getrieben werde. Über mir brechen die Wellen. Ein Blick auf den Tiefenmesser – ich bin nur noch vier Meter unter der Oberfläche. Ohne dass wir es bemerkt hatten, trieb uns die Strömung nicht nur in Richtung Land, sondern drückte uns auch nach oben. Wenn es vor einer Küste eine Todeszone für Taucher gibt, dann sind wir jetzt drin.
Mittendrin.
Mario deutet mit der Hand nach oben. Er will auftauchen. Ich will ihn überzeugen, wieder in die Tiefe abzutauchen. Dort wären wir der Kraft der Wellen nicht so stark ausgesetzt. Wir könnten entlang des Meeresbodens in ruhigerem Wasser aus der Gefahrenzone schwimmen. Doch Mario ist in Panik. Er lässt Luft in seine Weste und steigt rasch nach oben. Mir bleibt nichts anderes übrig, als dasselbe zu tun. Oben sehe ich: Wir sind nur noch etwa zwanzig Meter von den Felsen entfernt. Gegen das Licht der Sonne mache ich auf der Klippe die Angler aus. Sie bemerken nichts von dem Drama, das sich nur einen Steinwurf entfernt unter ihnen abspielt. Ich drehe mich um, blicke aufs Meer. Dann packt mich eine Welle, mindestens drei Meter hoch, und schleudert mich in Richtung Felsen. Ich halte meine Maske fest und lasse mich treiben. »Jetzt nur nicht den Luftschlauch verlieren«, schießt es mir durch den Kopf. Verzweifelt beiße ich auf mein Mundstück. Ich bin der Welle völlig ausgeliefert. Ein Gefühl totaler Hilflosigkeit. Ich lande in einer Einbuchtung in einem Felsen. Von Wellen über Jahrtausende ausgewaschen, eine Delle, nicht größer als eine Badewanne. Dann bricht die nächste Welle über mir zusammen. Ich fühle mich wie in einer Waschmaschine, ohne Kontrolle, das Wasser wirbelt mich herum wie einen Spielball. In meinem Kopf höre ich den Puls pumpen, trotz des ohrenbetäubenden Lärms, den das aufgewühlte schaumige Wasser macht. Als sich die Welle
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