Weit wie das Meer
Leitung ist sie?«
»Auf der fünf.«
»Danke.«
Theresa schrieb rasch ihre Kolumne zu Ende. Sie würde sie noch einmal überarbeiten, sobald sie den Anruf erledigt hatte. Dann hob sie ab und drückte die Fünf.
»Hallo.«
Es blieb einen Augenblick still in der Leitung. Dann meldete sich eine sanfte, melodische Stimme.
»Spreche ich mit Theresa Osborne?«
»Ja, am Apparat.« Theresa lehnte sich in ihren Stuhl zurück und drehte eine Haarsträhne um den Zeigefinger.
»Haben Sie die Kolumne über die Flaschenpost geschrieben?«
»Ja. Was kann ich für Sie tun?«
Die Anruferin schwieg wieder eine kurze Weile. Theresa hörte, wie sie Luft holte, als dächte sie nach, was sie antworten sollte. Schließlich fragte sie:
»Können Sie mir die Namen sagen, die in dem Brief standen?«
Theresa schloß die Augen und ließ die Strähne los. Wahrscheinlich wieder eine Wichtigtuerin, dachte sie bei sich. Ihre Augen wanderten zum Bildschirm.
»Nein, tut mir leid, das ist nicht möglich. Ich will keine Einzelheiten publik machen.«
Die Anruferin schwieg erneut, und Theresa wurde ungeduldig. Sie hatte sich schon wieder dem ersten Absatz auf dem Bildschirm zugewandt. Doch der nächste Satz der Anruferin ließ sie aufhorchen.
»Bitte, ich muß es wissen.«
Theresa blickte vom Bildschirm auf. In der Stimme der Frau lag ein drängender Ton und noch etwas anderes, das sie eigentümlich berührte.
»Tut mir wirklich leid«, sagte Theresa schließlich. »Aber es geht nicht.«
»Können Sie mir dann eine Frage beantworten?«
»Vielleicht.«
»War der Brief an eine Catherine gerichtet und von einem Mann namens Garrett unterzeichnet?«
Theresa, die plötzlich ganz Ohr war, richtete sich kerzengerade in ihrem Sessel auf.
»Wer sind Sie?« fragte sie hastig und begriff im selben Augenblick, daß sie sich verraten hatte.
»Es stimmt, nicht wahr?«
»Wer sind Sie?« fragte Theresa wieder, aber diesmal etwas ruhiger. Sie hörte die Anruferin tief Atem holen, bevor sie antwortete.
»Mein Name ist Michelle Turner, und ich lebe in Norfolk, Virginia.«
»Woher wußten Sie von dem Brief?«
»Mein Mann ist bei der Marine, und er ist hier stationiert. Vor drei Jahren bin ich am Strand spazierengegangen und habe, wie Sie in Ihrem Urlaub, einen ganz ähnlichen Brief gefunden. Nachdem ich Ihre Kolumne gelesen hatte, wußte ich, daß er von derselben Person stammte. Die Initialen waren dieselben.«
Theresa schwieg einen Augenblick. Das konnte doch nicht wahr sein, dachte sie bei sich. Vor drei Jahren?
»Auf was für einem Papier war er geschrieben?«
»Es war beige mit der Zeichnung eines Segelschiffs in der oberen rechten Ecke.«
Theresa spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Es kam ihr immer noch unglaublich vor.
»Auf Ihrem Brief ist auch ein Segelschiff, stimmt’s?«
»Ja«, flüsterte Theresa.
»Ich wußte es sofort, als ich Ihre Kolumne las.« Michelles Stimme klang, als würde eine schwere Last von ihr abfallen.
»Haben Sie den Brief noch?« fragte Theresa.
»Ja. Mein Mann hat ihn nie gesehen, aber wenn er nicht da ist, lese ich ihn heute noch gelegentlich. Er ist etwas anders als der Brief, den Sie abgedruckt haben, aber die Gefühle sind die gleichen.«
»Könnten Sie ihn mir in die Redaktion faxen?«
»Natürlich«, sagte sie, ohne zu zögern. »Es ist unglaublich, nicht wahr? Ich finde einen vor so langer Zeit, und jetzt finden Sie einen zweiten.«
»Ja«, flüsterte Theresa. »wirklich erstaunlich.«
Nachdem sie Michelle die Faxnummer gegeben hatte, konnte sie sich kaum noch auf ihre Arbeit konzentrieren.
Michelle mußte erst in einen Copy-Shop gehen, um den Brief zu faxen. Theresa lief die ganze Zeit ungeduldig zwischen Schreibtisch und Faxgerät hin und her. Sechsundvierzig Minuten später hörte sie das Faxgerät anspringen. Auf der ersten Seite war nur das Deckblatt des National Copy Service, adressiert an Theresa Osborne von der Boston Times.
Sie sah es in den Korb darunter gleiten und hörte das Surren des Geräts, während es den Brief Zeile für Zeile druckte. Es ging schnell - das Gerät brauchte nur zehn Sekunden, um eine Seite zu kopieren -, doch selbst diese kurze Zeit schien ihr zu lang. Dann wurde eine dritte Seite gedruckt, und sie erkannte, daß dieser Brief, wie der ihre, auf beiden Seiten beschrieben sein mußte.
Als das Faxgerät piepste und das Ende des Vorgangs ankündigte, griff sie nach den Blättern, trug sie, ohne sie zu lesen, zu ihrem Schreibtisch, legte sie, die
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