Weit wie das Meer
alleinerziehende Mutter zu tun hatte.
Und fast hätte sie recht damit gehabt. Drei Tage später aber geschah etwas, das sie veranlaßte, mit einem Koffer voll Kleidern und einem Stapel Papier, der vielleicht nichts bedeutete, ins Ungewisse aufzubrechen.
Sie fand einen dritten Brief von Garrett.
4. Kapitel
An dem Tag, als sie den dritten Brief fand, hatte sie natürlich mit nichts Außergewöhnlichem gerechnet. Es war ein typischer Hochsommertag in Boston - heiß und drückend mit den bei solchem Wetter üblichen Begleiterscheinungen: verschiedene Gewalttaten, begünstigt durch das spannungsgeladene Klima, zwei nachmittägliche Morde sogar, begangen von Menschen, die durchgedreht hatten.
Theresa war im Nachrichtenraum und suchte Berichte zum Thema ›autistische Kinder‹. Die Boston Times verfügte über eine umfangreiche Datenbank von Artikeln, die in den letzten Jahren von den unterschiedlichsten Magazinen veröffentlicht worden waren. Mit ihrem Computer hatte sie außerdem Zugang zur Bibliothek der Harvard und Boston University. Die mehreren hunderttausend Artikel, die diese zur Verfügung stellen konnten, machten jede Art von Recherche leichter und weniger zeitraubend als noch vor wenigen Jahren.
In zwei Stunden hatte sie knapp dreißig Artikel gefunden, die in den letzten drei Jahren - teilweise in Zeitschriften, von denen sie noch nie gehört hatte - veröffentlicht worden waren. Sieben Titel davon schienen ihr brauchbar, und da sie auf dem Heimweg sowieso bei der Uni vorbeikam, beschloß sie, sie dort abzuholen.
Als sie eben ihren Computer ausschalten wollte, kam ihr plötzlich eine Idee. Warum eigentlich nicht? fragte sie sich. Die Chancen sind zwar gering, aber was habe ich zu verlieren?
Sie setzte sich wieder an ihren Computer, loggte sich erneut bei Harvard ein, und tippte das Wort
FLASCHENPOST
Da die Artikel im Bibliothekssystem nach Schlagworten oder Titelanfängen geordnet waren, beschloß sie, um Zeit zu sparen, mit dem Titelanfang zu beginnen. Bei der Schlagwort-Methode kamen gewöhnlich sehr viel mehr Artikel heraus, und diese alle einzeln durchzugehen war sehr zeitaufwendig. Nachdem sie die Return-Taste gedrückt hatte, lehnte sie sich in ihren Stuhl zurück und wartete, daß der Computer die gewünschte Information bringen würde.
Die Antwort überraschte sie - ein Dutzend verschiedener Artikel waren in den letzten Jahren zu dem Thema geschrieben worden. Die meisten stammten aus wissenschaftlichen Zeitschriften und vermittelten den Eindruck, daß solche Flaschen hauptsächlich der Erforschung der Meeresströmungen dienten.
Drei Artikel aber schienen auch für sie von Interesse, und sie notierte die Titel, um sie sich mit aushändigen zu lassen.
Der Verkehr war dicht, und sie brauchte lange, um die Bibliothek zu erreichen und die neun angeforderten Artikel zu kopieren. Sie kam spät nach Hause und ließ sich, nachdem sie beim Chinesen um die Ecke ein Reisgericht bestellt hatte, auf der Couch nieder - vor sich die drei Flaschenpost-Artikel.
Der erste Artikel, den sie las, stammte aus dem Yankee Magazine vom Vorjahr und berichtete von Flaschen, die in den letzten Jahren an die Küste von Neuengland gespült worden waren. Einige der darin gefundenen Briefe waren wirklich bemerkenswert. Ihr gefiel besonders der von Paolina und Ake Viking.
Paolinas Vater hatte eine Nachricht in einer Flasche gefunden, die von Ake, einem jungen schwedischen Segler stammte. Ake, der sich während einem seiner vielen Segeltörns langweilte, bat um Antwort für den Fall, daß eine hübsche junge Frau seinen Brief in die Hände bekommen sollte. Der Vater gab ihn Paolina, die Ake umgehend schrieb. Ein Brief folgte dem anderen, und als Ake schließlich nach Sizilien reiste, um Paolina zu treffen, stellten beide bald fest, wie verliebt sie waren. Kurz darauf heirateten sie.
Gegen Ende des Artikels stieß sie auf zwei Absätze, die von einer anderen Flasche erzählten, die an den Strand von Long Island gespült worden war.
Bei der Flaschenpost wird der Finder gewöhnlich um Antwort gebeten, in der vagen Hoffnung, es könne sich eine lebenslange Korrespondenz daraus entwickeln. Manchmal jedoch wünscht der Absender keine Antwort. Ein solcher Brief - eine bewegende Erinnerung an eine verlorene Liebe - wurde im vergangenen Jahr an der Küste von Long Island gefunden. Hier ein Ausschnitt daraus:
›Wenn ich Dich nicht in den Armen halte, spüre ich die Leere in meiner Seele. Ich ertappe mich
Weitere Kostenlose Bücher