Weiter weg
preiszugeben, ist es wahrscheinlich besser, ein paar hübsche, zitierfähige Sätze für den Verlag zu schreiben –
«Vieles spricht dafür, dass Alice Munro die beste zeitgenössische Erzählerin Nordamerikas ist. Tricks ist ein literarisches Wunderwerk .»
– und den Redakteuren der Times Book Review vorzuschlagen, ein möglichst großes Foto der Autorin an prominenter Stelle zu platzieren, dazu vielleicht ein paar kleinere, die ein gewisses voyeuristisches Interesse wecken könnten (ihre Küche? ihre Kinder?), und außerdem aus einem ihrer seltenen Interviews zu zitieren –
Denn es gibt, wenn man sein eigenes Werk betrachtet, so eine Art Erschöpfung oder Verblüffung … Eigentlich ist das Einzige, was man hinterlassen hat, das, woran man gerade arbeitet. Und darum ist man viel dünner angezogen. Man ist wie jemand, der mit einem kurzen Hemdchen oder so herumläuft – damit meine ich die Arbeit, an der man gerade sitzt, und die seltsame Identifikation mit allem, was man zuvor getan hat. Und das ist wahrscheinlich der Grund, warum ich als Schriftstellerin nicht in der Öffentlichkeit auftrete. Ich glaube, das könnte ich nur, wenn ich eine große Betrügerin wäre.
– und es dabei zu belassen.
6. Denn, schlimmer noch, Alice Munro ist eine reine Kurzgeschichtenautorin.
Und Kurzgeschichten stellen den Rezensenten vor noch größere Herausforderungen. Gibt es in der Weltliteratur eine einzige Kurzgeschichte, die durch die typische Zusammenfassung nicht ihres Reizes beraubt wird? (Ein gelangweilter Ehemann macht auf einer Promenade in Jalta zufällig die Bekanntschaft einer Dame mit einem Hündchen … In einer kleinen Stadt dient die jährliche Lotterie einem recht überraschenden Zweck … Ein Dubliner in mittleren Jahren verlässt eine Party und ergeht sich in Betrachtungen über das Leben und die Liebe …) Oprah Winfrey rührt Bücher mit Kurzgeschichten nicht an. Die Diskussion über Erzählungen ist derart schwierig, dass man Charles McGrath, dem ehemaligen Herausgeber der New York Times Book Review , seine kürzliche Bemerkung beinahe verzeihen kann: Er verglich junge Kurzgeschichtenautoren mit «Menschen, die Golf spielen lernen, sich aber nie auf den Platz wagen, sondern immer auf der Drivingrange bleiben». Soll heißen: Das eigentliche Spiel ist der Roman.
Beinahe alle kommerziellen Verleger teilen McGraths Vorurteil. Für sie ist eine Kurzgeschichtensammlung fast immer der unangenehme und wirtschaftlich erfolglose erste Bestandteil eines Vertrages über zwei Bücher, von denen das zweite auf keinen Fall eine weitere Kurzgeschichtensammlung sein darf. Und obgleich – oder vielleicht gerade weil – die Kurzgeschichte ein Aschenputteldasein fristet, gehört ein großer Prozentsatz der aufregendsten Literatur der letzten fünfundzwanzig Jahre – das, was mir sofort einfällt, wenn man mich fragt, was ich großartig finde – diesem Genre an. Da ist zum einen natürlich die große Meisterin selbst. Außerdem Lydia Davis, David Means, George Saunders, Amy Hempel und Raymond Carver – allesamt reine oder beinahe reine Kurzgeschichtenautoren – sowie eine größere Gruppe von Schriftstellern, die in den verschiedensten Genres Großes geleistet haben (John Updike, Joy Williams, David Foster Wallace, Lorrie Moore, Joyce Carol Oates, Denis Johnson, Ann Beattie, William T. Vollmann, Tobias Wolff, Annie Proulx, Michael Chabon, Tom Drury, Andre Dubus), Autoren, die aber meiner Meinung nach in ihren kürzeren Werken am entspanntesten und am unverfälschtesten sie selbst sind. Selbstverständlich gibt es auch einige sehr gute reine Romanciers. Doch wenn ich die Augen schließe und über die Literatur der vergangenen Jahrzehnte nachdenke, sehe ich eine Landschaft im Dämmerlicht, in der die Lichter, die mich am freundlichsten einladen, doch wieder einmal vorbeizuschauen, von bestimmten Kurzgeschichten ausgehen.
Ich mag Kurzgeschichten, weil sie dem Autor keinen Ort lassen, an dem er sich verstecken kann. Er kann sich nicht wortreich aus der Klemme ziehen; in ein paar Minuten werde ich die Geschichte zu Ende gelesen haben, und wenn er nichts zu sagen hat, werde ich es merken. Ich mag Kurzgeschichten, weil sie gewöhnlich in der Gegenwart oder in der lebendigen Erinnerung spielen; es ist, als widerstehe das Genre dem historischen Impuls, der viele zeitgenössische Romane so kurzlebig und ausgezehrt erscheinen lässt. Ich mag Kurzgeschichten, weil man überaus talentiert sein muss, um neue
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