Weiter weg
Widerstands in diesem Roman – Anmerkung, Abschweifung, Nichtlinearität, Hyperverlinkung – nahm den sogar noch virulenteren und sogar noch radikaler individualistischen Eroberer vorweg, der jetzt den Roman und dessen Nachkommen ersetzt. Die Brombeere auf der Insel Robinsón Crusoe war wie der Eroberer Roman, ja, aber nicht weniger kam sie mir wie das Internet vor, dieses BlackBerry-geborene Invasiv, das, statt das Ich über eine Erzählung zu legen, das Ich über die Welt legt. Statt der Nachrichten: meine Nachrichten. Statt eines einzigen Fußballspiels: fünfzehn verschiedene, aufgesplittet in die Statistik einer personalisierten Phantasie-Liga. Statt Der Pate : «Meine Katze macht ein lustiges Kunststück.» Das Individuum läuft Amok, jedermann ein Charlie Sheen. In Robinson Crusoe war das Ich eine Insel geworden, und jetzt, so sah es aus, wurde die Insel die Welt.
In der Nacht wachte ich auf, weil die Zeltplane gegen meinen Schlafsack schlug; ein heftiger Wind war aufgekommen. Ich verstöpselte meine Ohren, konnte das Schlagen aber noch hören und, später, ein lautes Klatschen. Als es endlich Tag wurde, fand ich mein Zelt teilweise zerlegt, ein Teil der Zeltstange baumelte vom Vordach. Der Wind hatte die Wolken unter mir zerstreut und den Blick auf den Ozean geöffnet, staunenswert nah, der Morgen dämmerte rötlich über dem bleiernen Wasser. Mit der besonderen Effizienz, die ich auf der Suche nach einem seltenen Vogel aufbringen kann, frühstückte ich schnell, verstaute Funkgerät und Satellitentelefon und genug Proviant für zwei Tage in meinem Rucksack und faltete, weil der Wind so stark war, in letzter Minute mein Zelt zusammen und beschwerte seine Ecken mit großen Steinen, damit es nicht fortwehte. Die Zeit war knapp – die Morgen sind tendenziell klarer als die Nachmittage –, doch am refugio zwang ich mich zu einem Zwischenstopp und markierte dessen Koordinaten auf dem GPS, bevor ich bergauf eilte.
Der Más-Afuera-Schlüpfer ist der größere, trister gefiederte Vetter des Stachelschwanzschlüpfers, eines bemerkenswerten Vogels, den ich in mehreren Wäldern auf dem chilenischen Festland gesehen hatte, bevor ich auf die Inseln kam. Wie eine so kleine Art achthundert Kilometer vor der Küste landen konnte, zahlreich genug, um sich zu vermehren und weiterzuentwickeln, wird für immer ein Rätsel bleiben. Die Más-Afuera-Art braucht unberührten Farnwald, und ihre Population, nie groß, scheint kleiner zu werden, vielleicht weil die Vögel, wenn sie auf dem Boden brüten, leichte Beute für die eingeschleppten Ratten und Katzen sind. (Más Afuera von Nagern zu befreien würde das Einfangen und Sichern der kompletten Bussard-Population auf der Insel voraussetzen, damit danach über Hubschrauber die Felsenlandschaft mit Giftködern gespickt werden könnte, zu Gesamtkosten von vielleicht fünf Millionen Dollar.) Mir war gesagt worden, in seinem Habitat sei der Más-Afuera-Schlüpfer nicht schwer zu entdecken; die Schwierigkeit bestehe darin, das Habitat zu erreichen.
Die Höhenlagen der Insel waren noch wolkenverhangen, aber ich hoffte, dass der Wind bald für klare Sicht sorgen würde. Soweit ich das anhand meiner Karte beurteilen konnte, musste ich bis auf elfhundert Meter steigen, um zwei tiefe Schluchten, die südlich den Weg nach Los Inocentes versperrten, zu umgehen. Dass der reine Höhengewinn meiner Wanderung bei null liegen würde, heiterte mich auf, kaum hatte ich jedoch das refugio hinter mir gelassen, schloss sich die Wolkendecke wieder. Die Sicht sank auf unter hundert Meter, und bald hielt ich alle zehn Minuten an, um meinen Standort elektronisch zu markieren, wie Hänsel, der im Wald Brotkrumen verstreut. Eine Weile hielt ich mich an einen von Maultierkot markierten Pfad, aber der Boden wurde bald zu steinig und zu sehr von Ziegenspuren vernarbt, als dass ich mir hätte sicher sein können, noch auf dem richtigen Weg zu sein.
Auf elfhundert Metern wandte ich mich nach Süden, schlug mich durch dichte, triefende Farne und fand meinen Weg von einem Wasserlauf blockiert, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich unter mir hätte sein sollen. Ich studierte die Karte, aber ihre Google-Earth-Schraffuren waren kein bisschen weniger vage geworden, seit ich sie das letzte Mal studiert hatte. Ich versuchte, mich seitwärts an den Flanken der Schlucht voranzuarbeiten, doch unter der Farndecke verbargen sich glitschige Felsen und tiefe Löcher, und der Hang schien, soweit ich das im Nebel beurteilen
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