Weiter weg
fand, sehr vernünftig war. Als ich sah, dass er sich umdrehte, erbleichte und blindlings losrannte, geriet ich ebenfalls in Panik.
Wer vor einer Gefahr flieht, läuft anders als sonst: Man achtet nicht auf seine Schritte. Ich sprang über eine Mauer, rannte durch ein Feld voller Dornbüsche, stolperte in einen Graben, prallte mit dem Kinn gegen einen Draht und fand, nun sei es genug. Ich sorgte mich um den Laubsänger in meinem Rucksack. Heyd durchquerte einen großen Garten, sagte etwas zu einem mittelalten Mann und rannte dann, mit noch immer ängstlichem Gesicht, weiter. Ich ging zum Besitzer des Gartens und versuchte, ihm die Situation zu erklären, doch er sprach nur Griechisch. Besorgt und misstrauisch zugleich holte er seine Tochter, die mir auf Englisch mitteilte, dass ich mich im Garten des Bezirkschefs von Greenpeace befand. Sie bewirtete mich mit Wasser und zwei Tellern voller Kekse, bevor sie meine Geschichte ihrem Vater erzählte, der nur ein einziges wütendes Wort äußerte. «Barbaren!», übersetzte seine Tochter.
Zurück am Mietwagen, unter regenschweren Wolken, betastete Mensi vorsichtig seine Rippen und untersuchte die Schnitte und Abschürfungen an den Armen; Kamera wie Rucksack waren ihm gestohlen worden. Conlin zeigte mir die zerstörte Videokamera, und Rutigliano, der seine Brille verloren hatte und stark hinkte, gestand mir in sachlichem Fanatismus: «Ich wollte ja, dass so was passiert – nur nicht, dass es so schlimm wird.»
Ein zweites CABS-Team war eingetroffen, die Männer liefen mit grimmigen Gesichtern herum. In ihrem Wagen befand sich ein leerer Weinkarton, in den ich, gerade als neben uns ein Polizeiwagen hielt, den Waldlaubsänger setzte, der zwar verschreckt, aber eigentlich nicht sonderlich mitgenommen wirkte. Ich hätte mich angesichts seiner Rettung noch besser gefühlt, wenn ich nicht auf meinem Handy die Nachricht eines zypriotischen Freundes gesehen hätte, der unsere Verabredung zu einem heimlichen Ambelopoulia-Essen für den nächsten Abend bestätigte. Ich versuchte mir einzureden, dass ich mich wie ein guter Journalist auf das Beobachten beschränken und selbst keinen Vogel essen würde; wie ich das allerdings anstellen sollte, war mir nicht ganz klar.
Jedes Frühjahr ziehen etwa fünf Milliarden Vögel von Afrika nach Europa und Asien, um dort zu brüten, und alljährlich werden Hunderte Millionen absichtlich von Menschen getötet, hauptsächlich entlang der Vogelzugrouten über das Mittelmeer. Mit Sonargeräten und Schleppnetzen hat man das Meer leer gefischt, und der Himmel darüber wird mit extrem effektiver Technologie – nämlich elektronischen Aufnahmen von Vogelgesang – leergefegt. Dank der Vogelschutzrichtlinie sowie anderer Schutzverordnungen hat sich die Situation einiger stark gefährdeter Vogelarten seit den 1970er Jahren leicht entspannt, doch das Treiben der Jäger im Mittelmeerraum droht diese marginale Verbesserung zunichtezumachen. Zypern hat versuchsweise die Frühjahrsjagd auf Wachteln und Turteltauben eingeführt, Malta hat im April 2009 die Frühjahrsjagd erlaubt, und im Mai desselben Jahres beschloss das italienische Parlament ein Gesetz zur Verlängerung der Jagdzeit im Herbst. Während die europäischen Regierungen sich gern als Vorreiter in Sachen Umweltschutz gebärden – jedenfalls belehren sie die USA und China hinsichtlich der CO 2 -Emissionen, als wären sie die reinsten Musterknaben –, sind die Populationen vieler europäischer Stand- und Zugvögel in den vergangenen zehn Jahren alarmierend geschrumpft. Man muss kein Vogelbeobachter sein, um den Ruf des Kuckucks, das Kreisen der Kiebitze über den Feldern und den Gesang der Grauammer auf den Telefondrähten zu vermissen. Die durch Lebensraumverluste und intensive Landwirtschaft bereits stark belastete Vogelwelt treibt dank Jägern und Vogelfängern in erhöhtem Tempo der Ausrottung entgegen. In der Alten Welt wird der Frühling vermutlich viel eher stumm sein als in der Neuen.
Die Republik Malta besteht aus mehreren dicht bevölkerten Kalksteininseln, deren Fläche zusammengenommen etwa so groß ist wie München, und ist das vogelfeindlichste Gebiet in ganz Europa. Zwölftausend registrierte Jäger gibt es auf Malta (sie machen etwa drei Prozent der Gesamtbevölkerung aus), und viele von ihnen betrachten es als ihr Geburtsrecht, zu jeder Jahreszeit und ohne Rücksicht auf den Schutzstatus jeden Vogel zu schießen, dessen Route ihn unglücklicherweise über diese Inselgruppe
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