Weiter weg
neunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit ein Jäger.» Für Feldarbeit war es, wie mir schien, tatsächlich noch sehr früh, und solange wir dort standen, hörten wir keine weiteren Schüsse. Vier leuchtend gelbe männliche Pirole flogen vorüber. Sie hatten das Pech, Malta als Zwischenstation gewählt zu haben, und das Glück, dass wir dort standen. In einem niedrigen Baum entdeckte ich ein Buchfinkenweibchen. Buchfinken sind in Europa weit verbreitet, kommen in Malta wegen der allgegenwärtigen Finkenfallen jedoch so gut wie gar nicht mehr vor. Als ich Temuge den Vogel zeigte, wurde er ganz aufgeregt. «Ein Buchfink!», sagte er. «Es wäre unglaublich, wenn sich Buchfinken wieder als Brutvögel hier ansiedeln würden.» Es war, als wäre in Nordamerika jemand verwundert, ein Rotkehlchen zu sehen.
Die maltesischen Jäger sind in einer schwachen Position, denn sie fordern etwas, das Malta große und kostspielige Schwierigkeiten mit der EU einbringen könnte: die Erlaubnis, auf Vögel zu schießen, die zu ihren Brutgebieten unterwegs sind. Die Führer des FKNK haben kaum eine andere Wahl, als kompromisslos auf ihren Forderungen zu beharren und ihre Haltung mit Aktionen wie dem erwähnten Boykott zu unterstreichen. Das weckt falsche Hoffnungen unter den Mitgliedern und fördert Frustrationen und das Gefühl, verraten worden zu sein, wenn die Regierung diese Hoffnungen enttäuschen muss. In dem beengten, unaufgeräumten Büro des FKNK traf ich mich mit dem Sprecher der Organisation, Joseph Perici Calascione, einem nervösen, aber wortgewandten Mann. «Wie kann irgendjemand, der nur ein bisschen Phantasie besitzt, annehmen, dass wir mit einer Frühjahrsjagd zufrieden sind, in der achtzig Prozent der Jäger keinen Jagdschein bekommen können? Wir haben schon zwei Jahre lang auf eine Jagd verzichtet, die Teil unserer Tradition, Teil unseres Lebens ist. Wir hatten nicht erwartet, dass die Jagdzeit so sein würde wie vor drei Jahren, aber doch wenigstens angemessen lang. Das hat die Regierung uns vor dem EU-Beitritt klar versprochen.»
Ich fragte nach illegalen Abschüssen. Perici Calascione bot mir einen Scotch an. Als ich dankend ablehnte, schenkte er sich ein Glas ein. «Wir sind absolut gegen illegale Abschüsse bedrohter Arten», sagte er. «Wir sind bereit, Jagdaufseher auszuschicken, damit diese Leute gestellt und aus unserem Verband ausgeschlossen werden können. Das hätten wir jetzt schon getan, wenn wir eine ausreichende Jagdsaison gekriegt hätten.» Perici Calascione gab zu, er sei nicht ganz einverstanden mit den aufrührerischen Reden seines Generalsekretärs, versuchte aber, sichtlich bekümmert, mir zu vermitteln, wie viel ihm die Jagd bedeutete; eigenartigerweise klang er wie ein gequälter Umweltschützer. «Alle sind frustriert», sagte er mit bebender Stimme. «Psychiatrische Zwischenfälle häufen sich, unter unseren Mitgliedern hat es Selbstmorde gegeben – unsere Kultur ist in Gefahr.»
Inwiefern die Jagd im maltesischen Stil eine «Kultur» oder eine «Tradition» ist, wirft Fragen auf. Während die Frühjahrsjagd und das Abschießen und Ausstopfen seltener Vögel zweifellos eine lange Tradition hat, scheint das Phänomen des wahllosen Abschlachtens erst in den 1960er Jahren aufgekommen zu sein, in einer Zeit, als Malta unabhängig wurde und Geld ins Land kam. In der Tat erscheint Malta wie eine glatte Widerlegung der Theorie, dass zunehmender Wohlstand einer Gesellschaft mit zunehmender Sorge für die Umwelt einhergeht. In Malta jedenfalls ging der Wohlstand mit besseren Waffen, mehr Geld für den Tierpräparator und mehr Wagen und Straßen einher, wodurch das Land für die Jäger noch besser erschlossen wurde. Die Jagd war einst eine Tradition, die vom Vater an den Sohn weitergegeben wurde, doch nun entwickelte sie sich zum Zeitvertreib junger Männer, die in laut prahlenden Gruppen unterwegs waren.
Auf einem Stück Land, wo ein Hotel einen Golfplatz anlegen möchte, traf ich mich mit einem Jäger alter Schule, der sich über das schlechte Benehmen seiner Landsleute und die Toleranz des FKNK gegenüber diesen Auswüchsen entrüstete. Er sagte mir, das wahllose Abschießen liege den Maltesern «im Blut», und es sei blauäugig zu erwarten, sie würden sich anders verhalten, nur weil das Land der EU beigetreten sei. («Wenn deine Mutter eine Hure ist», sagte er, «wird aus dir keine Nonne.») Doch er sah die Schuld zum großen Teil bei den jungen Männern und sagte, die Senkung des Mindestalters
Weitere Kostenlose Bücher