Weites Land der Sehnsucht: Australien-Roman (German Edition)
Hamish trat rasch unter die Markise des Metzgerladens. Wie ein Vorhang rauschte der Regen hernieder, und bald war kein Fußgänger mehr auf der Straße zu sehen. Hamish blickte der Kutsche nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Das ist doch lächerlich, sagte er sich. Aber trotzdem ging er in den Laden und fragte nach der jungen Frau.
Der Metzger beantwortete seine Fragen ganz offen. Das fragliche Mädchen war Claire Whittaker. Ihr Vater und sie hatten als einzige Mitglieder einer achtköpfigen Familie das Fieber überlebt. Sie besaßen Land in Parramata und hatten auch eine beachtliche Herde, aber der Metzger bezweifelte, dass sie vermögend waren, weil das Mädchen zwar immer sauber und ordentlich, aber nicht besonders aufwendig gekleidet war. Hamish verließ den Laden, nachdem ihm der Metzger die Adresse der beiden auf einen Zettel geschrieben hatte.
Das Mädchen war wahrscheinlich halb so alt wie er, dachte Hamish, als er die George Street entlangging. Seine Finger schlossen sich um den Zettel. In jener Nacht träumte er von einem jungen Mädchen, das zu einer Frau herangewachsen war und eine breite Krinoline trug. Der dunkelblaue Rock wurde durch eine hellblaue Bluse ergänzt, und um den Hals hatte sie ein blaues Samtband gelegt. Auf dem Kopf trug sie einen flachen, braunen Hut, von dem bunte Bänder über ihren Rücken fielen.
Herbst, 1866
Wangallon Station
Hamish schnüffelte in den Wind. Seine Nasenflügel bebten. Der trockene Staubgeruch erschwerte jeden Atemzug, und er sehnte sich danach, sich den Schmutz der Reise abzuwaschen. Die Innenseiten seiner Schenkel schmerzten, und sein Rücken war steif. Stöhnend reckte er sich. Er war froh, wenn er zu Hause war.
Boxer, sein oberster Viehtreiber, wartete mit ein paar anderen Aborigines bereits am Eingang zur Farm. Hamish war vier Monate lang weg gewesen.
» Boss.« Er tippte sich an den breitkrempigen Hut; die anderen zehn Männer starrten ihn nur an.
» War alles in Ordnung, Boxer?«, fragte Hamish, wobei er ganz genau wusste, dass er es nicht erfahren würde, wenn es anders war.
Boxer grinste und zeigte seine prachtvollen Zähne, die vom Kautabak leicht bräunlich verfärbt waren. Nebeneinander ritten sie den Weg entlang, der vom Tor zum Haupthaus führte. Links bog der Weg ab, der zum Scherschuppen mit seinen sechsundzwanzig Boxen führte, den Schafställen und den Rindenhütten, die als Unterkünfte für die Scherer und Hilfskräfte dienten. Boxer richtete sich im Sattel auf, als er die anderen Mitglieder seines Stammes hinter sich ließ. Ein Windstoß fuhr durch das Gras, das frisch und grün war, da es erst kürzlich geregnet hatte.
Boxer spuckte ein Stück Kautabak aus und wischte sich das Kinn mit seinem schmutzigen Hemdsärmel ab. » Mehr Stamm kommt, Boss. Will mit meinen sein.«
» Wollen sie bei dir ihr Lager aufschlagen, Boxer?«
» Ja, Boss. Mehr Familie.«
» Wie viele?«, fragte Hamish und strich sich den Schnurrbart glatt.
» Zehn, vielleicht weniger.«
Oder vielleicht auch mehr, dachte Hamish. Boxers Stamm, die Kamilaroi, waren eine sehr enge Gemeinschaft und gute Arbeiter. Seit Hamishs Ankunft waren sie immer mehr geworden. Er behandelte sie fair, und sie fühlten sich bei ihm sicher, denn es gab immer wieder Kämpfe zwischen Schwarzen und Weißen. Hamish ließ die Zügel locker, und die Schmerzen zwischen seinen Schulterblättern ließen sofort nach. Er dachte an die Crawfords, die auf der anderen Seite des Wangallon River lebten. Der Fluss bildete die westliche Grenze seines Landes, und die Crawfords, eine englische Familie von Stand, waren seine nächsten Nachbarn. Sie waren jedoch meistens nicht da und ließen ihr Anwesen in der Hand der Viehtreiber und eines anscheinend nicht besonders fähigen Verwalters zurück. Drei weitere Grenzreiter würden sein Land sicherer machen.
» Arbeit?«
» Ja, Boss, drei. Die Jungen der ersten Frau und ein Mädchen, das der Missus mit dem Neugeborenen hilft.«
Hamish warf seinem Vorarbeiter einen kurzen Blick zu– ein Kind. Dann hatte Rose offensichtlich schon entbunden. » Bring ihnen das Schießen bei.«
» Ja, Boss.«
» Aber nur zum Verwunden.« Er hoffte, es war wieder ein Junge, hier draußen konnte man nicht genug davon haben. Ihr letztes Kind, Luke, der Bruder von Howard, William und seiner Tochter Elizabeth, war jetzt vier.
Boxer grinste, und die Falten um seine Augen vertieften sich. » Nur verwunden, Boss? Manchmal nicht sehr gute Schüsse, Boss.«
» Erzähl mir nichts,
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