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Wells, ich will dich nicht töten

Wells, ich will dich nicht töten

Titel: Wells, ich will dich nicht töten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Wells
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rief: »Marci, du hast Besuch!« Dann verschwand er gleich wieder.
    Oben ertönte, fern und weiblich, ein Ruf, der ihm antwortete. Türen schlugen zu, Schritte auf der Treppe. Zwei jüngere Kinder, ein Junge und ein Mädchen, die wie Zwillinge aussahen, spähten aus einem anderen Zimmer heraus. Ich schätzte sie auf vier oder fünf.
    »Hi«, sagte ich.
    »Hi«, antwortete das Mädchen. Der Junge bohrte in der Nase.
    »Ich will zu Marci«, erklärte ich den beiden.
    »Du bist aber nicht der Typ, der am Sonnabend hier war«, stellte der Junge fest.
    »Natürlich nicht«, belehrte ihn das Mädchen. »Marci hat eine Menge Freunde. Sie hat sogar mehr Freunde als ich, und ich habe fünf.«
    Ich zog die Augenbrauen hoch. »Du hast fünf Freunde?«
    »Tyson, Logan und Ethan und dann noch einer im Bus, den ich nicht kenne.«
    »Das macht vier«, antwortete ich lächelnd.
    »Ich bin vier!«, rief der Junge und hielt vier Finger hoch.
    »Außerdem Daddy«, fuhr das Mädchen fort. »Der ist auch mein Freund. Und Sheriff Meier. Sind das fünf?«
    »So ungefähr.« Ich nickte.
    Dann trampelte jemand die Treppe herunter, und Marci erschien im Flur. Sie trug kurze Jeans, die wirklich kurze Version, die Daisy Dukes genannt wurde, und ein kurzärmeliges Flanellhemd. Das lange schwarze Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der beim Gehen hin und her wippte. Lächelnd und die Daumen in die Hosentaschen gehakt, kam sie auf mich zu, und plötzlich fand ich das Haus, das mir vor ein paar Sekunden noch dunkel und alt vorgekommen war, freundlich und gemütlich. Das hatte mit ihrer Körperhaltung und ihren Bewegungen zu tun. Auf einmal sah alles ringsum viel besser aus.
    »Wow«, machte ich.
    »Gefällt es dir?« Sie breitete die Arme aus und blickte auf ihre Aufmachung hinunter. »Die Hose habe ich im Internet bestellt. Rat mal, was sie gekostet hat.«
    »Ich bin der schlechteste Schätzer der Welt, wenn es um Klamotten geht.« Ich schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
    »Versuch’s doch einfach mal.« Sie öffnete die Tür und trat auf die Veranda hinaus.
    »Irgendwo zwischen fünf und fünfhundert Dollar.«
    Sie lachte. »Ach, dann können wir Bekleidung wohl von der Liste möglicher Gesprächsthemen streichen.«
    »Ich bin nur so schlecht, wenn es um den Gegenwert in Geld geht«, wandte ich ein. »Den Anblick weiß ich trotzdem zu schätzen.«
    »Aber der Preis ist doch das Wichtigste«, erklärte sie mir, während sie ums Haus herumging und ein Fahrrad holte, das dort an der Wand lehnte. »Jeder kann schöne Sachen kaufen, aber ich finde immer unglaublich günstige. Na ja.« Sie blieb stehen, schob die Hüfte nach vorn und warf sich in Pose. »Außerdem sehen sie an mir phantastisch aus. Können wir dann?«
    »Ja. Mein Fahrrad steht da vorn. Fahren wir zum See?«
    »Nur wenn du wirklich Lust dazu hast.« Marci schob ihr Fahrrad auf die Straße. »Immerhin haben wir dort eine Leiche gefunden, aber bei dem schönen Wetter will ich so oft wie möglich mit dem Rad fahren, bevor die Schule wieder anfängt. Anscheinend tauchen die Leichen neuerdings vor Kirchen auf, deshalb wird uns da draußen sicher nichts passieren.«
    O Mann, dachte ich. Die geht mit den Todesfällen ja viel lockerer um als erwartet. Das liegt sicher daran, dass sie einen Cop in der Familie hat. »Mir soll’s recht sein.« Ich sprang aufs Fahrrad und ließ sie vor mir auf die Straße hinausfahren, dann strampelte ich etwas stärker, um sie einzuholen. »Ich wusste gar nicht, dass du Fahrrad fährst.«
    »Keine Rennen, aber ich radle gern. Ich wandere auch. Manchmal kann ich das Glück, hier zu leben, einfach nicht fassen.«
    Beinahe hätte ich laut aufgelacht. »Du machst Witze. Hier in Clayton?«
    »Ich mag die Gegend. Wir haben einen See, einen Wald, lange Wanderwege und Straßen. Wenn wir die Lebenserwartung noch erhöhen könnten, wären wir im Paradies.«
    »Da hast du wohl recht.« Sie bog auf die Straße zum See ab, ich folgte ihr. Wir fuhren gemächlich und traten nur ab und zu in die Pedale. Ich hob den Kopf und blickte zur Sonne hinauf. Sie strahlte hell und warm, es roch nach frisch geschnittenem Gras. Sonst benutzte ich das Fahrrad, um verschiedene Ziele zu erreichen – die Schule, die Bibliothek oder das ausgebrannte Lagerhaus außerhalb der Stadt. Einfach zum Vergnügen fuhr ich so gut wie nie.
    Wir erreichten die Zufahrt zum See, die hinter einer Werkstatt direkt in den Wald hineinführte. Marci radelte ein Stück vor mir her,

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