Welt im Fels
anders und griff nach dem Octlikrug. Der fermentierte Saft der Maguey-Agaven machte trunken, glücklich und zufrieden.
In der Nacht hörte er ein rasselndes Geräusch in seinem Traum. Ein plötzlicher greller Lichtblitz riß ihn aus dem Schlaf. Er lag von lähmender Angst erfüllt in der Dunkelheit, während das laute Getöse grollend verhallte. Erst allmählich bemerkte er, daß es heftig regnete; das Rauschen der Tropfen auf dem Strohdach war es, was in seine Träume gedrungen war. Dann kam wieder ein Blitz, und der Donner rollte wieder, so laut, daß er das ganze Tal füllte. Die Götter spielen, sagten die Priester, reißen Berge auseinander und werfen mit riesigen Steinblöcken, so wie einst, als sie das Tal schlossen.
Chimals Kopf schmerzte, als er sich aufrichtete. Er hatte zuviel octli getrunken. Seine Mutter hatte sich gesorgt, fiel ihm jetzt ein, weil Trunkenheit ein heiliger Zustand und nur bei bestimmten Festen statthaft war. Nun, er hatte sein eigenes Fest gefeiert. Er schob die Matte beiseite und trat hinaus in den Regen, legte den Kopf in den Nacken, ließ die Tropfen auf sein Gesicht klatschen und das Wasser über seinen nackten Körper rinnen. Jetzt gab es Wasser für den Mais und vielleicht doch noch eine gute Ernte.
Der Regen war kalt. Chimal fröstelte. Er ging wieder in die Hütte.
Am Morgen weckten ihn die Trommeln, wie an jedem Tag seines Lebens. Seine Mutter war schon auf und blies in die Glutreste des abgedeckten Herdfeuers. Sie sagte nichts, aber er spürte ihre Mißbilligung aus der Art, wie sie sich von ihm abwandte. Als er sein Gesicht berührte, spürte er die Bartstoppeln an seinem Kinn. Er füllte eine Schale mit Wasser und krümelte ein wenig Copalxocotl, getrocknete Wurzel des Seifenbaums, hinein. Dann nahm er die Schale und sein Messer und ging hinter das Haus. Die Sonne ging auf. Die Wolken waren verschwunden, und es versprach ein klarer Tag zu werden. Er seifte sein Gesicht ein, suchte sich eine Pfütze auf einer Steinplatte als Spiegel und begann sich zu rasieren.
Als er fertig war, strich er sich mit den Fingern über die Wangen und drehte den Kopf hin und her, um zu sehen, ob er Stellen ausgelassen hatte. Es war ein fast fremdes Gesicht, das ihm aus dem Wasser entgegensah, so sehr hatte er sich in den letzten Jahren verändert. Sein Kinn war breit und eckig, ganz anders als das seines Vaters, sagten alle. Sogar jetzt, da er allein war, waren seine Lippen fest aufeinandergepreßt, als müßten sie unvorsichtige Worte zurückhalten. Er hatte seine Erfahrung im Schweigen. Selbst seine tiefen grauen Augen unter den schweren Augenbrauen wirkten verschwiegen. Sein blondes Haar, das rundherum glatt herunterhing und über den Augen in Fransen abgeschnitten war, verbarg seine hohe Stirn. Das Gesicht des Jungen, den er gekannt hatte, war verschwunden und hatte den Zügen eines Mannes Platz gemacht, den er nicht kannte. Was bedeuteten die Ereignisse der vergangenen Tage, die merkwürdigen Gefühle, die ihn überkamen, und die noch merkwürdigeren Dinge, die er gesehen hatte?
Er merkte, daß jemand hinter ihm stand. Ein Gesicht erschien neben seinem Spiegelbild und hob sich gegen den blauen Himmel ab: Cuauhtemoc, der Anführer seiner Sippe. Grauhaarig und mit zerfurchtem Gesicht, streng und sehr ernst.
»Ich bin gekommen, um über deine Hochzeit zu sprechen«, sagte das Gesicht.
Chimal schüttete das Seifenwasser in die Pfütze. Das Bild zersprang, und der Spiegel wurde trüb.
Als er aufstand und sich umdrehte, merkte Chimal, daß er um ein ganzes Stück größer war als der Sippenälteste; sie hatten schon sehr lange nicht mehr miteinander gesprochen. Cuauhtemoc blinzelte in die Sonne und rieb sich das Kinn.
»Wir müssen die Sippen miteinander verbunden halten. Das ist«, er senkte seine Stimme, »Omeyocans Wille. Da ist ein Mädchen Malinche, das im richtigen Alter ist, und du hast auch das richtige Alter. Du wirst kurz nach dem Maisreifefest verheiratet. Kennst du das Mädchen?«
»Natürlich kenne ich sie. Deshalb will ich sie auch nicht heiraten.«
Cuauhtemoc war verblüfft. Er riß die Augen auf und legte den Finger an die Wange. »Was du willst, hat nichts zu sagen. Du hast gelernt, daß du zu gehorchen hast. Es gibt kein anderes passendes Mädchen für dich, die Heiratsvermittlerin hat es gesagt.«
»Ich will dieses Mädchen nicht heiraten, nicht dieses und auch kein anderes. Ich will noch nicht heiraten …«
»Du warst schon als Junge merkwürdig, und die
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