Weltenfresser - Die Tränen der Medusa (German Edition)
Welle vor ihm auf. Bereit, über ihn hineinzubrechen und ihn zu verschlingen.
Tyark meinte zu schreien, doch kein Laut war zu hören. Das Rauschen brach ab und auf einmal wurde er brutal zurückgezogen, verließ diese seltsame Welt, bevor der Blick der Frau sich in seinem Geist bohren konnte.
Mit einem Ruck wachte Tyark auf, er fühlte kalten Schweiß auf seiner Stirn, sein Hemd war völlig durchnässt und doch war ihm eiskalt. Sein Atem ging schnell und sein Herz raste.
Die beginnende Morgendämmerung stahl sich durch Ritzen ins Innere der Hütte, draußen zwitscherten friedlich einige wenige Vögel.
Panisch blickte er sich um - Zaja lag unweit von ihm entfernt auf dem Boden, atmete unruhig. Ihre Gestalt war nun fest, nicht mehr durchscheinend. Dennoch griff er nach ihrer Decke und war erleichtert, als seine Hand nicht einfach hindurchglitt.
In seinem Kopf herrschte vollkommenes Durcheinander. Er musste an die Frau denken, an die Versprechungen, die er bei ihr gespürt hatte. Nein, nicht nur Versprechen – Gewissheit . Ein Teil von ihm wollte zu ihr zurück, wollte ihren Duft atmen, sie spüren, sich mit ihr vereinigen, zu einem Teil von ihr werden. Doch gleichzeitig wusste er, dass dies sein Ende sein würde. Ihre Umarmung würde so wundervoll wie tödlich sein.
Er rieb sich seine Schläfen und nahm wieder diesen anderen, schweren Duft aus seinem Traum wahr. Süßlich hing er in der Luft. Verstört sah er sich um. Nach kurzem Suchen sah er im Dunkel des lehmigen Hüttenbodens die kleine weiße Blüte eines unscheinbaren Pflänzchens, welches direkt neben seinem Kopfende aus dem Boden gesprossen war.
Verwirrt starrte er die Pflanze an. Weiße Blütenblätter formten einen glockenförmigen Kelch. Feiner, glitzernder Staub schien darin zu liegen.
Tyark war sich sicher, dass diese gestern Abend noch nicht hier gewesen war. Gedankenverloren zupfte er den dünnen Stiel ab und riss die Pflanze mitsamt einem kleinen Wurzelkern aus dem Boden.
Diese Blüte war es, von welcher der Duft ausging. Auf seltsame Weise sehr angenehm und doch unangenehm zugleich. Es musste diese Pflanze gewesen sein, die er gerochen hatte. An deren Geruch er sich aus seinem Traum, wenn es einer gewesen war, förmlich herausgezogen hatte – gerade noch rechtzeitig, wie es ihm schien.
Erneut kreisten seine Gedanken um die Frau. Er fühlte sich immer noch auf unglaublich starke Weise zu ihr hingezogen. Und doch spürte er gleichzeitig, dass diese Frau etwas anderes war, etwas vollkommen Unmenschliches. Etwas in ihr war so fremdartig, dass sein Geist es kaum begreifen konnte. Gedankenverloren starrte er das Pflänzchen an, das er in seinen Fingern drehte.
Er schreckte auf, als Zaja anfing zu gähnen. Hastig steckte er das Pflänzchen in seine Hemdtasche und blinzelte in die ersten warmen Sonnenstrahlen. Verschlafen blickte Zaja ihn an: »Guten Morgen! Hm... ich habe seltsame Träume gehabt, ich kann mich nicht mehr richtig erinnern, aber du warst dort und...«
Sie brach ab, und blinzelte verwirrt. »Vielleicht doch eher ein Alptraum, ich weiß nicht mehr... gut, dass ich aufgewacht bin.«
Mit Blick auf Tyark fragte sie besorgt: »Alles in Ordnung? Du siehst grauenhaft aus! Entschuldige!«
Beschämt lächelnd blickte sie ihn mit ihren tiefgrünen Augen an. »Es war nicht so gemeint, aber du siehst tatsächlich aus, als ob du auch nicht so gut geschlafen hättest.«
Tyark brauchte eine Weile, dann lächelte er gequält. »Ja, ich habe auch komisches Zeug geträumt. Aber ich erinnere mich nicht mehr daran.«
»Etwas ist anders an dir...seltsam, du hast einen anderen Ausdruck in den Augen als die Tage zuvor. Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?«
Tyark stand schnell auf: »Ich sehe anders aus? Müder wahrscheinlich! Ist ja aber auch kein Wunder, bei dem was passiert ist.«
»Du hast Recht. Es ist eigentlich ein Wunder, dass wir überhaupt schlafen können.«
Sie lächelte gezwungen und stand rasch auf.
Tyark blickte sie an und konnte sich nicht der störenden Gedanken erwehren, dass ihr Gesicht, welches ihm bislang so schön vorgekommen war, nun voller Fehler war.
Er sah ihre Falten, ihre dünnen Lippen, Hautunreinheiten. Ihre misstrauische Stirnfalte. Selbst ohne Narben wäre Zaja nur ein Splitter der Schönheit gewesen, die Tyark heute Nacht in der fremden Frau gesehen hatte! Jede Frau war nur ein müder, verblichener Schatten verglichen mit der atemberaubenden Vollkommenheit, die Tyark heute Nacht gespürt hatte.
In das
Weitere Kostenlose Bücher