WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
Behandlung. Wenn nicht, nun, dann hatte ich zumindest schon mal recht.“
Stefan vertraute seinem Freund. Diese Pillen würden ihm also beant -worten, ob er wahnsinnig oder auserwählt war.
Drei Tage vergingen. Er fühlte sich wie benebelt. Kein Wunder, dass ihm Friedrich geraten hatte, nicht zur Arbeit zu gehen. Er trug den Anhänger immer noch, aber nichts war geschehen.
„Freyja?“ Auch wenn es ihm schwerfiel, zwang er sich, logisch zu den-ken. Die Stimme in seinem Kopf war verschwunden. Dafür gab es zwei Erklärungen: Er war tatsächlich wahnsinnig, und das Medikament hatte die Stimme zum Schweigen gebracht. Möglichkeit B: Er war nicht wahnsinnig, die Pillen machten nur müde, und die Göttin sprach nicht mehr mit ihm, weil er nicht an ihre Existenz geglaubt hatte. Stefan wollte endlich Klarheit haben.
„ Freyja, es tut mir leid. Ich habe nie an irgendetwas geglaubt, und ...“
Mit einem Mal spürte er wieder die fremde Präsenz in sich.
„Mir tut es auch leid.“
Stefan fuhr auf. „Wie?!“
„ Sag mal, was hast du eigentlich mit deinem Verstand gemacht? Fühlt sich an wie Eiderdaunen.“
„ Eider-was?“
„ Eiderdaunen. Man füllt Federbetten damit.“
„ Äh, ja.“ Rein logisch betrachtet hatte er jetzt eine Antwort. Nein, er war nicht wahnsinnig. Allerdings war eine Diskussion über Entenfedern auch nicht gerade ein überzeugender Beweis geistiger Normalität.
„ Freyja ... könnten wir nochmal von vorne anfangen?“
„ Bei dem Mädchen auf dem seltsamen Eisengestell?“
„ Das Fahrrad?“
„ Nenn es, wie du willst.“
„ Ja. Nein. Ich meine, als ich den Anhänger gekauft habe. Wieso hast du mich ausgewählt? Und was hat es mit dem Anhänger auf sich?“
Stefan hatte eine Antwort erwartet, doch da war nur Schweigen.
„Freyja?“ Er spürte, dass sie noch da war.
„ Also gut“, erklang nach einer Weile wieder die Stimme in seinem Kopf. Traurigkeit schwang darin mit. „Ich habe keine andere Wahl, als dir zu vertrauen. Du entscheidest über mein Schicksal hier auf Mid-gard.“
„ Midgard? Du meinst die Welt der Menschen?“
„ Natürlich. Was denn sonst?“
„ Freyja, ich ... aber ich sollte wahrlich keine Göttin unterbrechen – und ich werde mein Bestes versuchen, dein Vertrauen nicht zu enttäu-schen.“
„ Früher haben die Menschen mich verehrt, mich, meine Brüder, meine Schwestern. Odin, der Allvater, hat über alles gewacht und die tapfers-ten von euch Menschen in seine große Halle geholt. Es war eine Welt der Stärke, der Wahrheit, der Schönheit. Aber dann kam ein Mann, der behauptete, der Sohn eines anderen Gottes zu sein. Die Menschen wandten sich ihm zu. Und im Laufe der Jahrhunderte vergaßen sie uns, vergaßen ihre alten Götter, obwohl wir immer über sie gewacht hatten.
Nur eine einzige Insel blieb uns noch, wo wir Kraft aus den Gebeten und dem Glauben der Menschen schöpfen konnten. Doch vor einigen Jahren fiel auch diese an den neuen Gott. Bald gab es niemanden mehr, der an uns glaubte, der uns verehrte. Ich weiß nicht, was aus meinen Geschwistern geworden ist, doch ich entschied mich, den Rest meiner Kraft in dieses Amulett zu legen, bis jemand käme, der ... nun, der z umindest meine Stimme vernehmen konnte.“
Stefan hatte aufmerksam zugehört. Die alten Götter hatten ihn schon seit frühester Jugend fasziniert, aber all die Geschichten über sie waren ihm stets als bloße Legenden erschienen. Wie sehr er sich doch geirrt hatte.
„Freyja, du sagtest, dass ihr vor einigen Jahren eure letzte Insel verloren hättet. Meinst du Island?“
„ Ja. Befinden wir uns nicht dort? Alles sieht so ... so anders aus.“
Das erklärte einiges. Freyja wähnte sich am falschen Ort – und vor allem zur völlig falschen Zeit. „Bitte erschrick jetzt nicht, aber Island hat seinen Glauben vor über tausend Jahren gewechselt.“
Es folgte keine Antwort, nur Schweigen.
„Wir befinden uns auf dem Kontinent. Die Welt hat sich verändert, aber die Menschen sind sich ziemlich gleich geblieben“, fuhr Stefan fort.
„ Tausend Jahre ... eine lange Zeit, selbst für eine Göttin. Jetzt weiß ich auch, warum ich mich so schwach fühle, warum ich so schwach bin. Von der Kraft im Amulett ist nicht mehr viel übrig. Ich habe die Zeit nicht gespürt, während ich darin gefangen war.“
„ Wirst du ... sterben?“
„ Sterben? Nein, Götter sterben nicht. Götter werden vergessen. Wir beziehen unsere Kraft aus den Gebeten der Menschen. Wenn keiner mehr an uns
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