WELTENTOR 2013 - Fantasy (German Edition)
eröffnete der Croupier mit routinierter Stimme die neue Runde.
Die kleine weiße Kugel begann im Roulette zu kreisen. „Nichts geht mehr.“
Rot, schwarz, rot, rot, schwarz, schwarz, schwarz.
Stefan spielte nur die Farben. Da genügte eine winzige Änderung, und die Kugel landete im richtigen Feld. Er setzte immer nur einen Teil seines Geldes – und gewann auch nicht immer. Aber er gewann meis-tens. Langsam, aber stetig wuchsen die Jetonstapel vor ihm. Er wech-selte zu einem anderen Tisch, zu noch einem. Alles, bevor seine Glückssträhne allzu auffällig wurde.
„ Stefan“, meldete sich die vertraute Stimme in seinem Kopf, „ich bin erschöpft. Ich brauche Kraft.“
Stefan erhob sich, mehr als zufrieden, gab dem Croupier ein großzügi -ges Trinkgeld und löste die Jetons ein. Schon vor einiger Zeit hatte Freyja seine Aufmerksamkeit auf eine Frau gelenkt, die ihn angelächelt hatte. Sie lächelte noch immer.
Aachen, Baden-Baden, Monte Carlo.
Trotz der großen Namen war Stefan immer bescheiden geblieben, hatte nie mehr als ein paar hunderttausend gewonnen. Es war anstrengend gewesen, aufregend, einzigartig. Freyja und er harmonierten perfekt. Aber irgendwann war es genug. Irgendwann war die Gefahr, einem misstrauischen Casinodetektiv zu begegnen, das zusätzliche Geld nicht mehr wert. Irgendwann war er schließlich reich.
Doch wenn bei anderen die Geschichte hier geendet hätte, begann sie für Freyja und ihn gerade erst.
Geld war notwendig, ohne Zweifel. Aber es half der Göttin nicht das Geringste. Der Dank, den sie bald erhalten würde, schon eher.
Es hatte als Armenspeisung begonnen. Die Idee eines schrulligen Mill ionärs, den man in der Stadt bisher nicht gekannt hatte. Wer immer dorthin kam, bekam eine warme Mahlzeit – unter der Bedingung, dass er einer obskuren germanischen Göttin huldigte.
Der Stadtverwaltung war es von Anfang an ein Dorn im Auge gewesen. Man hatte es mit dem Gesundheitsamt versucht, mit der Gewerbeauf -sicht, doch es hatte nichts zu beanstanden gegeben. Schließlich hatte man die Schließung wegen Verbreitung rechten Gedankengutes ange-ordnet.
Es war ein Desaster geworden. Jeden Tag ha tten hunderte Menschen vor dem Rathaus protestiert, eine Lokalzeitung hatte sich eingeschaltet: Bürgermeister befielt Hungertod für Arme!, Bürgermeister kennt kein Mitleid!, Bürgermeister im Fünf-Sterne-Restaurant!
Man war zurückgerudert, hatte sich entschuldigt, hatte eine unbefristete Genehmigung erteilt. Dass besagte Lokalzeitung mittlerweile einem gewissen Stefan Bendler gehörte, hatte man in all der Aufregung über-sehen.
Durch die tägliche Berichterstattung flossen nun Spenden für das Pro -jekt. Andere Städte hatten bereits ihr Interesse bekundet. Und die, die jeden Tag vor einer großen Statue knieten, um sich für ihr Essen zu bedanken, hatten irgendwann begonnen, den Dank ernst zu meinen.
Stefan Bendler saß zufrieden im Arbeitszimmer seiner geschmackvoll eingerichteten Villa und strich langsam über das Amulett auf seiner Brust. Die Zeit der alten Götter kehrte wieder – und er würde ihr Hohepriester sein.
Kirkes Tierparadies
Alisha Pilenko
„Dieses Dorf hat nach einer Heldin verlangt?“ Es war mehr eine Fest -stellung, denn eine Frage.
Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf und straffte die Schul -tern, sodass sich die Sonne eindrucksvoll in den polierten Bronzebe-schlägen meiner Schwertscheide brach. Dann schenkte ich meinem Ge-genüber ein zuversichtliches Lächeln.
Die schmalgesichtige Frau zeigte sich hiervon jedoch gänzlich unbeein -druckt. „Und wer bist du?“, fragte sie in barschem Tonfall.
Mein Lächeln wurde eine Spur breiter. „Man nennt mich Leonira, die Unbesiegbare. Stets zu Diensten.“ Ich setzte zu einer formvollendeten Verbeugung an.
Sie runzelte die Stirn. „Nie von dir gehört.“
Meine Verbeugung verwandelte sich in ein entrüstetes Kopfschütteln. „Aber ich habe den wilden Bullen von Theben bezwungen.“
Weiteres Stirnrunzeln. „Die Balladen erzählen nichts davon.“
„ Ich bin hinabgestiegen in Hades Reich und unversehrt wieder zurück-gekehrt.“
„Kein Rhapsode hat dich je erwähnt.“
„Hör mal“, sagte ich ungeduldig, „braucht dieses Dorf nun einen Hel-den oder nicht?“
Sie nickte. Ihre Hand zwirbelte nervös an einer aschfarbenen Haar -strähne herum. „Eines unserer Fischerboote kehrte nicht
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