Weltkrieg der Waehrungen
Wirtschaftswachstums nicht mehr mit Inflationsschüben einher. So musste Greenspan die Zinsen auch in Phasen der boomenden Wirtschaft nicht sehr stark anheben, um die Teuerung der Verbraucherpreise zu bekämpfen. Das billige Geld konnte weiter sprudeln.
Ebenso wichtig erscheinen der 11. September 2001 und die Reaktionen darauf. An jenem Tag wurde Amerika angegriffen, und es verteidigte sich auf vielfältige Weise: militärisch, politisch und wirtschaftlich. Eine der Regierungsbehörden, die ihren Beitrag zur Landesverteidigung nicht verweigerten, war die Federal Reserve. Greenspan kappte den Leitzins kurz nach den Attacken auf ein historisch niedriges Niveau von einem Prozent, um Amerikas Wirtschaft zu schützen. Terrorziel war immerhin das finanzielle Nervenzentrum des Landes gewesen. Ohne die Ereignisse von »Nine-Eleven« wäre der Leitzins vermutlich nicht so stark gesenkt worden und nicht so lange niedrig geblieben. Die Fed erfüllte ihre Mission, nach dem Angriff zur Stabilisierung der amerikanischen Wirtschaft beizutragen. Alan Greenspans Geldpolitik war schlicht Teil des Ausnahmezustands, in dem sich die USA nach dem 11. September befanden.
Es gibt jedoch noch einen häufig übersehenen Aspekt der Greenspan-Ãra, der die beiden vorhergehenden an Bedeutung überragt. Die expansive Geldpolitik der Fed war eine Reaktion auf das Verschwimmen des amerikanischen Traums. Seit den Achtzigerjahren â und dann verstärkt in den Neunzigerjahren â verlagerten US-Unternehmen ihre Produktionsstätten im groÃen Stil ins günstigere Ausland. Anfänglich war Mexiko die verlängerte Werkbank Amerikas, später dann die chinesischen Küstenregionen. Millionen von Arbeitnehmern waren davon direkt betroffen, indem sie ihren Job verloren. Zig andere Millionen spürten die Folgen indirekt, indem sie in einem sich verschlechternden Arbeitsmarkt ihr Einkommen nicht mehr steigern konnten. Bedingt durch den globalen Konkurrenzdruck der Erwerbstätigen stagnierten zum ersten Mal in der Nachkriegszeit die Reallöhne. Das war ein herber Schlag für das amerikanische Versprechen. Das Selbstverständnis der Nation, demzufolge es jeder Generation besser gehen sollte als der vorherigen, war in Gefahr. Da traf es sich gut, dass Wohlstand ja auch auf Kredit zu haben war â vorausgesetzt, das Zinsniveau stimmte.
Dank der extrem niedrigen Zinsen und der gut ausgebauten Kredit-Infrastruktur der USA konnten sich Millionen Amerikaner Konsumwünsche erfüllen, die ihnen ihr stagnierendes Arbeitseinkommen nicht mehr erlaubt hätte: der gröÃere Fernseher, das dickere Auto, das schönere Haus. Das Leben auf Pump wurde zum integralen Teil des »American Way of Life«. Es wurde damit auch zu einer besonderen Variante des Versorgungsstaats.
Dieses Wohlfahrtsprinzip amerikanischer Prägung proklamierte zwar nicht Wohngeld wie in Europa, aber dafür das Recht auf das eigene Haus, finanziert durch günstige Darlehen. Der US-Immobilienboom der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts hing nicht an den inzwischen notorischen Subprime-Krediten. Vielmehr kurbelte die Regierung den Hauserwerb auf vielfältige Weise mit subventionierten Krediten an, die über die halbstaatlichen Hypothekenbanken »Fannie Mae« und »Freddie Mac« abgewickelt wurden.
Die Behörde im Zentrum dieser Politik war die Federal Reserve, die den Leitzins im Zweifelsfall niedrig hielt. Später würde die Notenbank auch willfährig illiquide Hypothekenpapiere von zweifelhaftem Wert in ihre Bilanz nehmen und den längst grotesk verzerrten Markt damit stützen. Billiges Geld wurde zum Aspekt der Wohlfahrtsidee amerikanischer Prägung. In diesem Punkt ist der amerikanische Sozialstaat nicht so viel anders als der europäische: Beide Varianten gaukeln mittels Krediten einen Wohlstand vor, der in der Form noch gar nicht erarbeitet ist. Man könnte es das transatlantische Prosperitätstheater nennen.
Es führt daher zu nichts, Alan Greenspan zum Bösewicht zu stilisieren. Ihn zu dämonisieren ist ebenso ungerechtfertigt wie die Heldenverehrung, die ihm während seiner Dienstjahre zuteilwurde. Der seit 2006 amtierende neue Fed-Vorsitzende Ben Bernanke hatte keine andere Wahl, als Greenspans Niedrigzins-Politik fortzusetzen. Mehr als das: Er musste nach Ausbruch der Finanzkrise sogar die nächste Stufe dieser Politik einleiten. Die Fast-Nullzins-Ãra ging mit dem
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