Weltraumpartisanen 08: Raumsonde Epsilon
waren, zog sich durch die ganze Geschichte: Alexander, Caesar, Dschingis-Khan, Tamerlan, Napoleon, Cecil Rhodes, Hitler, Stalin, der Texaner Smith - und jetzt: ein wahnsinniger kleiner Hauptmann! Und keine Generation lernte aus den Fehlern der vorhergehenden. Der Mensch veränderte das Antlitz der Erde und der Planeten - aber er selbst? Immer wieder zerbrach er seine Gesetzesordnung, um nach der Macht zu greifen - nach diesem Instrument der Herrschaft über andere Menschen. Die Macht - ein Ersatz für die dem Menschen verwehrte Unsterblichkeit?
Ich schreckte hoch. Captain van Kerk hämmerte mit seinem Schuh gegen die Zellentür.
„Hör auf mit dem Gewimmer!“ schrie er. „Hör sofort auf, oder ich drehe dir bei nächster Gelegenheit den Hals um. „
Als er sah, daß ich aufgestanden war, zuckte er mit den Achseln.
„Verzeihung, Sir! Es überkam mich einfach. Diese Banditen feiern Feste, und wir sitzen hier im Loch!“
„Ich höre nichts“, sagte ich.
„Sie müssen es hören!“ sagte Captain van Kerk. „Das geht schon eine ganze Weile so, Sir.“
Er hatte recht. Ich hatte es vernommen, ohne weiter darauf zu achten. Und nun, da ich mich, von ihm aufgefordert, darauf konzentrierte, ließ es mich zusammenzucken.
Jemand spielte vor der Zellentür auf der Mundharmonika. Er spielte ein altes russisches Zigeunerlied:
Pros ’schaij, moj tabor!
Leb wohl, mein Lager!
Aus irgendeinem Grunde, den ich mir nicht zu erklären vermochte, wurde mir plötzlich warm ums Herz.
Captain van Kerk wollte etwas sagen, doch ich hob die Hand und gebot ihm Einhalt.
Die Mundharmonika spielte weiter.
Schleusen der Erinnerung taten sich auf. Espiritu Santu fiel mir ein -das Projekt Kolibri mit seinen mörderischen Testflügen - Grischa Romen, der Zigeuner: mit blockierendem Triebwerk aus dunkler Meerestiefe hinaufkatapultiert zu den Sternen und seither verschollen. Grischa Romens letztes Lebenszeichen war eine Weise auf der Mundharmonika gewesen.
Er konnte nicht hier sein; das war unmöglich. Der Kolibri hatte ihn hinausgetragen in das Reich, aus dem niemand zurückkehrt.
Aber es war seine Art zu spielen. Oft genug hatte ich den Klängen seiner Mundharmonika gelauscht.
Captain van Kerk hob erneut den Schuh.
„Augenblick, Captain!“ sagte ich. „Lieutenant Mercier übernimmt das. Geben Sie ihm den Schuh!“
Lieutenant Mercier war schon auf den Beinen und sah mich fragend an.
„Nehmen Sie den Schuh, Lieutenant!“ sagte ich scharf. „Das ist ein Befehl.“
Lieutenant Mercier gehorchte. Seinem Blick ließ sich entnehmen, daß er an meinem Verstand zweifelte.
„Und jetzt, Lieutenant“, fuhr ich fort, „geben Sie folgenden Morsespruch durch: Wir haben Sie gehört! Frage: ,Wer sind Sie, und was wollen Sie?’ Fangen Sie an, Mr. Mercier!“
„Morsespruch mittels Schuh gegen Zellentür!“ bestätigte Lieutenant Mercier. „Aye, aye, Sir.“
Lieutenant Mercier näherte sich der Zellentür und begann zu klopfen.
Der Befehl war erteilt. Mochte er auch unsinnig sein - immerhin trug er dazu bei, die Moral der Besatzung zu heben. Für einen Gefangenen ist nichts tödlicher als Resignation. Alles, selbst die überflüssigste Tat, ist besser als untätiges Daliegen. Sie ist eine Bestätigung des Nichtaufgebens. Mit dem menschlichen Willen verhält es sich wie mit seinen Muskeln. Nicht in Anspruch genommen, erschlafft er. Mochte es vorerst auch nicht so scheinen -irgendwann, in einer entscheidenden Sekunde, würden wir beides wieder benötigen: Muskeln und Willen.
Indem ich Lieutenant Mercier auftrug, Verbindung nach außen aufzunehmen, unterbrach ich die lähmende Eintönigkeit der Gefangenschaft.
Das Heilmittel begann zu wirken. Den gespannten, atemlosen Gesichtern der Männer war es anzusehen. Sogar Captain van Kerk verging das spöttische Lächeln.
Draußen war die Mundharmonika verstummt. Lieutenant Mercier richtete sich auf. „Befehl ausgeführt, Sir“, meldete er. Unschlüssig wog er den Schuh in der Hand. Der Blick, mit dem er mich ansah, war fragend.
Die Mundharmonika erklang erneut. Ich wandte mich ab. Die Männer hatten ihre Zerstreuung gehabt. Mehr konnte ich ihnen nicht bieten.
„Also denn“, sagte ich „auf ein ander Mal!“
Lieutenant Mercier schüttelte unwillig den Kopf. Seine Hand legte sich mir auf die Schulter.
„Sir“, sagte er gepreßt, „hören Sie doch! Die Mundharmonika antwortet.“
Ich rührte mich nicht.
In der Tat - das war nicht mehr die vertraute Melodie. Was jetzt durch
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