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Wem die Stunde schlaegt

Wem die Stunde schlaegt

Titel: Wem die Stunde schlaegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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Schulter. Dann schob er den anderen Arm unter den zweiten Gurt und schüttelte die Last auf dem Rücken zurecht. Das Hemd war noch naß vom Schleppen der Last.
 »Jetzt hab' ich ihn oben«, sagte er. »Wie geht es weiter?«
 »Klettern«, sagte Anselmo.
 Gebeugt unter dem Gewicht der Packen, schwitzend stiegen sie mit steten Schritten durch den Kiefernwald, der den Berghang bedeckte. Pfad war keiner zu sehen, aber sie arbeiteten sich empor, um die vordere Wand des Berges herum, und nun überquerten sie einen Bach, und der alte Mann stapfte unverdrossen weiter, am Rande der felsigen Rinne entlang. Immer schroffer und schwieriger wurde die Steigung, bis sie schließlich den Rand einer glatten, hochragenden Granitklippe erblickten, über den das Wasser jäh herabzustürzen schien, und am Fuß dieser Klippe wartete der Alte auf den jungen Mann.
 »Wie schaffst du's?«
 »Ganz gut«, sagte der junge Mann. Er schwitzte stark, und seine Schenkelmuskeln zuckten von der Mühe des steilen Anstiegs.
 »Warte hier auf mich. Ich gehe voraus, um uns anzukündigen. Willst du, daß sie auf dich schießen – mit diesem Zeug auf dem Buckel?«
 »Nicht mal im Scherz«, sagte der junge Mann. »Ist es weit?«
 »Ganz nahe. Wie heißt du?«
 »Roberto«, erwiderte der junge Mann. Er hatte den Packen abgestreift und legte ihn behutsam zwischen zwei Felsblöcke neben dem Flußbett.
 »Dann warte also hier, Roberto; ich hole dich.«
 »Gut«, sagte der junge Mann. »Aber soll das der Weg zur Brücke sein?«
 »Nein. Wenn wir zur Brücke gehen, nehmen wir einen anderen Weg. Einen kürzeren und bequemeren.«
 »Ich möchte nicht, daß der Lagerplatz weit von der Brücke entfernt ist.«
 »Du wirst sehen. Wenn du nicht zufrieden bist, wählen wir einen anderen Platz.«
 »Wir werden sehen«, sagte der junge Mann.
 Er setzte sich neben die Rucksäcke und beobachtete, wie der Alte die Klippe erklomm. Es war keine allzu schwere Kletterei, und an der Art, wie er seine Griffe fand, ohne erst lange zu suchen, merkte der junge Mann, daß der Alte wohl schon mehr als einmal dort hinaufgeklettert war. Aber die, die dort oben saßen, hatten Sorge getragen, keine Spuren zu hinterlassen.
 Der junge Mann namens Robert Jordan war sehr hungrig und voller Sorgen. Hungrig war er oft, aber nur selten machte er sich Sorgen, denn ihn kümmerte nicht, was mit ihm geschah, und er wußte aus Erfahrung, wie leicht es ist, in solchem Gelände sich hinter der feindlichen Front zu bewegen. Das ist ebenso einfach, wie es einfach ist, sich durch die Linien hindurchzuschleichen, sofern man nur einen guten Führer hat. Schwierig wird es erst, wenn du fragst, was dir passiert, falls sie dich erwischen. Das erstens. Und zweitens: – entscheiden, wem du vertrauen sollst. Den Leuten, mit denen man arbeitet, muß man ganz vertrauen oder gar nicht, und da heißt es, seine Entscheidung treffen, ob ja oder nein. Das alles machte ihm keine Sorgen. Aber es gab andere Dinge.
 Anselmo war ein guter Führer und ein ausgezeichneter Bergsteiger. Robert Jordan selbst konnte einiges leisten, und da er ihm seit Tagesanbruch gefolgt war, wußte er recht gut, daß es dem Alten nicht schwerfallen würde, ihn, Jordan, zu Tode zu hetzen. Vorläufig hatte er Vertrauen zu dem alten Anselmo, in allen Dingen, bis auf den Verstand. Er hatte noch keine Gelegenheit gehabt, seinen Verstand zu prüfen, und in dieser Beziehung hatte schließlich er selbst die volle Verantwortung zu tragen. Nein, Anselmo machte ihm keine Sorgen, und das Problem der Brücke war nicht schwieriger als so manches andere Problem. Er wußte, wie man Brücken sprengt, Brücken jeder erdenklichen Art, und er hatte ihrer eine Unzahl gesprengt. Brücken von jeglicher Konstruktion und Größe. Die beiden Packen enthielten genug Sprengstoff und das nötige Werkzeug, um diese Brücke kunstgerecht zu sprengen, auch wenn sie doppelt so groß gewesen wäre, wie Anselmo sie schilderte oder wie er selbst sie in Erinnerung hatte aus der Zeit, da er sie 1933 auf einer Fußtour nach La Granja passiert hatte, oder wie Golz sie ihm nach schriftlichen Angaben beschrieben hatte, vorgestern nacht, in jenem Zimmer im oberen Stockwerk des Hauses neben dem Escorial... »Die Brücke sprengen ist gar nichts«, hatte Golz gesagt, den zernarbten, glattrasierten Schädel im Lichtkreis der Lampe, mit einem Bleistift auf die große Karte zeigend. »Sie verstehen?«
 »Ja, ich verstehe.«
 »Absolut gar nichts. Bloß die Brücke sprengen,

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