Wen der Rabe ruft (German Edition)
sagte, er würde schon einen Weg finden, für die Behandlung aufzukommen. Doch Adam drehte nur unablässig das Krankhausarmband an seinem Handgelenk.
Behutsam fügte Gansey hinzu: »Ich hab mich drum gekümmert.«
Dies war der Punkt, an dem Adam normalerweise immer etwas sagte. An dem er wütend wurde. An dem er zischte: »Nein, ich will dein verdammtes Geld nicht, Gansey. Du kannst mich nicht kaufen . « Doch er drehte und drehte und drehte weiter den Papierstreifen.
»Du hast gewonnen«, sagte Adam schließlich und fuhr sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar. Er klang erschöpft. »Bring mich zu meinen Eltern, damit ich meine Sachen holen kann.«
Gansey wollte den Camaro anlassen, dann aber nahm er die Hand vom Zündschlüssel. »Ich habe gar nichts gewonnen. Glaubst du etwa, ich wollte, dass es so kommt?«
»Ja«, antwortete Adam. Er sah ihn nicht an. »Ja, das glaube ich.«
In Ganseys Innerem lieferten sich Gekränktheit und Wut einen heftigen Kampf. »Sei nicht so bescheuert.«
Adam zupfte an der ausgefransten Stelle, an der das Krankenhausarmband zusammengeklebt war. »Sag’s ruhig: ›Ich hab dich gewarnt.‹ Sag: ›Wenn du schon früher ausgezogen wärst, wäre das nicht passiert.‹«
»Habe ich das jemals gesagt? Mensch, jetzt tu doch nicht so, als wäre das ein Weltuntergang.«
»Meine Welt ist gerade untergegangen.«
Ein Rettungswagen hielt zwischen ihnen und dem Krankenhauseingang. Das Blaulicht war ausgeschaltet, doch die Sanitäter sprangen hastig aus der Fahrerkabine und eilten nach hinten, um sich um irgendeinen stillen Notfall zu kümmern. Hinter Ganseys Brustbein schien sich glühende Hitze auszubreiten. »Von deinem Dad wegzuziehen, ist ein Weltuntergang?«
»Du weißt, was ich wollte«, sagte Adam. »Und du weißt, dass es nicht das hier war.«
»Du tust ja so, als wäre das meine Schuld.«
»Dann sag mir, dass du dich nicht darüber freust, wie es gelaufen ist.«
Gansey wollte nicht lügen – natürlich hatte er gewollt, dass Adam aus diesem Haus rauskam. Aber er hatte sich niemals gewünscht, dass Adam dabei verletzt wurde. Niemals hatte er sich gewünscht, dass Adam fliehen musste, anstatt triumphierend von dannen zu ziehen. Nie hatte er sich gewünscht, dass Adam ihn so ansah wie jetzt. Also sagte er die Wahrheit, als er antwortete: »Ich freue mich nicht darüber, wie es gelaufen ist.«
»Na klar«, ätzte Adam. »Als hättest du mich nicht seit Ewigkeiten gedrängt auszuziehen.«
Gansey verabscheute es, seine Stimme zu erheben (im Geist hörte er dann immer seine Mutter sagen: »Schreien ist etwas für Leute, denen das Vokabular zum Flüstern fehlt.«), doch er spürte, wie es gegen seinen Willen trotzdem passierte, und kämpfte verbissen um eine ruhige Stimme. »Aber doch nicht so. Wenigstens sitzt du jetzt nicht auf der Straße. ›Weltuntergang‹ … Wo liegt eigentlich dein Problem, Adam? Ist dir meine Wohnung denn so zuwider, dass du dir nicht vorstellen kannst, dort zu leben? Warum vermutest du hinter jeder Nettigkeit von mir immer gleich Mitleid? Bei dir wird alles sofort zum Almosen. Aber weißt du was: Ich habe es satt, ständig Rücksicht auf deine tausend Prinzipien nehmen zu müssen.«
»Oh Mann, und ich habe es satt, mich von dir so herablassend behandeln zu lassen, Gansey«, entgegnete Adam. »Versuch nicht immer, mir das Gefühl zu geben, ich wäre dämlich. ›Zuwider‹, wer redet denn so? Tu nicht so, als wolltest du nicht, dass ich mir dämlich vorkomme.«
» Ich rede so. Tut mir ja leid, dass dein Vater dir solche Ausdrücke nie beigebracht hat. Wahrscheinlich war er einfach zu beschäftigt damit, deinen Schädel gegen die Wohnwagenwand zu schmettern, während du dich dafür entschuldigt hast, überhaupt am Leben zu sein.«
Beide hielten den Atem an.
Gansey wusste, dass er zu weit gegangen war. Zu spät, zu viel.
Adam stieß die Tür auf.
»Scheiß auf dich, Gansey. Scheiß auf dich«, sagte er mit leiser, zornerfüllter Stimme.
Gansey schloss die Augen.
Adam knallte die Tür zu und dann gleich noch mal, als das Schloss nicht einrastete. Gansey öffnete die Augen nicht. Er wollte nicht sehen, was Adam machte. Er wollte nicht sehen, ob irgendjemand gaffte, weil zwei Jungs in einem leuchtend orangefarbenen Camaro und in Aglionby-Pullovern sich stritten. In diesem Moment hasste er seine Schuluniform mit dem Rabenemblem, sein lautes Auto und jede hochgestochene Redewendung, die seine Eltern ganz selbstverständlich bei ihren Unterhaltungen
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