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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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keinen klaren Kopf. Seine Gedanken huschten knisternd durch den Staub vor ihm, im selben Rhythmus wie sein Herzschlag. Sein linkes Ohr schien zu brüllen. Es glühte so sehr, dass es sich nass anfühlte.
    »Du hast gelogen«, knurrte sein Vater. »Du hast uns erzählt, dass die von der Schule dir sogar noch Geld zahlen, damit du da hingehst. Du hast mir nie gesagt, dass du …« Er hielt kurz inne, um ein knittriges Stück Papier aus der Hemdtasche zu ziehen. Es bebte in seiner Hand – »achtzehntausendvierhundertdreiundzwanzig Dollar im Jahr verdienst!«
    Adam keuchte eine Antwort.
    »Was war das?« Sein Vater kam näher. Er griff abermals nach Adams Kragen und zerrte seinen Sohn auf die Füße, so mühelos, wie er einen Hund hochheben würde. Adam stand, aber mit letzter Kraft. Der Boden schien unter ihm wegzugleiten, er geriet ins Taumeln. Er musste sich anstrengen, um das Wort von eben noch einmal wiederzufinden; irgendetwas in ihm war kaputt.
    »Teil…«, stöhnte Adam. »Teilstipendium.«
    Sein Vater blaffte etwas, aber in Adams linkes Ohr, und auf dieser Seite hörte er nichts als ein stetiges Röhren.
    »Du antwortest mir gefälligst«, schrie sein Vater. Und dann wandte er sich unerklärlicherweise ab und rief: »Was willst du?«
    »Nur das hier«, fauchte Ronan Lynch und ließ seine Faust gegen Robert Parrishs Wange krachen. Hinter ihm stand mit offener Fahrertür der BMW, dessen Scheinwerfer die Staubwolken beleuchteten, die in der Dunkelheit aufgestiegen waren.
    »Ronan«, sagte Adam. Oder vielleicht hatte er es auch nur gedacht. Jetzt, nachdem sein Vater ihn losgelassen hatte, schwankte er gefährlich.
    Adams Vater krallte sich in Ronans Hemd und stieß ihn rücklings gegen den Wohnwagen. Doch Ronan brauchte nur einen Augenblick, um sich wieder aufzurappeln. Sein Knie senkte sich in Parrishs Bauch. Vornübergekrümmt grapschte Adams Vater nach Ronan, doch seine Finger glitten an dessen rasiertem Kopf ab. Eine halbe Sekunde geschah nichts. Dann rammte Parrish Ronan seinen Schädel ins Gesicht.
    Auf dem rechten Ohr hörte Adam seine Mutter kreischen, sie sollten aufhören. Sie hielt das Telefon hoch und schüttelte es in Ronans Richtung, als könnte sie ihn dadurch aufhalten. Doch es gab nur einen einzigen Menschen, der Ronan aufhalten konnte, und dessen Nummer kannte Adams Mutter nicht.
    »Ronan«, sagte Adam und diesmal war er sicher, es ausgesprochen zu haben. Seine Stimme klang seltsam, befand er, wie durch Watte. Er machte einen Schritt vorwärts und der Boden glitt unter ihm weg. Steh auf, Adam. Er war auf Händen und Knien. Der Himmel war nicht vom Boden zu unterscheiden. Er fühlte sich von Grund auf zerschmettert. Er konnte nicht aufstehen. Er konnte bloß zusehen, wie sich sein Freund ein paar Schritte weiter mit seinem Vater prügelte. Er war ein Paar Augen ohne Körper.
    Es war ein schmutziger Kampf. Irgendwann ging Ronan zu Boden und Robert Parrish trat nach seinem Kopf, hart. Ronan hob instinktiv die Unterarme, um sein Gesicht zu schützen. Parrish bückte sich, um sie wegzuziehen. Ronans Hand schnellte vor wie eine Schlange und riss Parrish zu sich auf den Boden.
    Adam bekam das Ganze nur ausschnittweise mit: sein Vater und Ronan, wie sie über den Boden rollten, aneinander zerrten, nacheinander schlugen. Rotblaues Flackerlicht prallte gegen die Flanke des Wohnwagens und erhellte die Wiese im Sekundentakt. Die Polizei.
    Seine Mutter kreischte immer noch.
    Die Welt bestand nur noch aus Lärm. Adam musste es schaffen aufzustehen, zu gehen, zu denken, dann konnte er Ronan aufhalten, bevor etwas Schreckliches passierte.
    »Hey, du.« Ein Polizist kniete sich neben ihn. Er roch nach Wacholder. Adam fürchtete, an dem Geruch zu ersticken. »Alles in Ordnung?«
    Mit der Hilfe des Polizisten rappelte Adam sich auf. Ein paar staubige Meter weiter zerrte sein Kollege gerade Ronan von Robert Parrish herunter.
    »Mir geht’s gut«, sagte Adam.
    Der Polizist ließ seinen Arm los, um ihn im nächsten Moment wieder zu packen. »Junge, dir geht’s nicht gut. Hast du getrunken?«
    Die Frage musste Ronan gehört haben, denn er schrie eine Antwort über den Wohnwagenvorplatz. Eine Antwort, die eine Reihe Flüche und die Worte »mal wieder halb tot geprügelt« beinhaltete.
    Adams Sichtfeld drehte sich und wurde dann wieder klarer, drehte sich und wurde klarer. Er konnte Ronan nur unscharf ausmachen. Entsetzt fragte er: »Legen Sie ihm Handschellen an?«
    Das darf nicht sein. Er kann nicht meinetwegen

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