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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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in Erwägung gezogen hätte, dann hätte er Gansey erst später für das Ritual entführt, wenn er am Herzen der Ley-Linie angelangt wäre.
    Allerdings wäre Gansey sowieso kein gutes Ziel gewesen, die Hetzjagd auf seinen Mörder wäre gigantisch geworden. Tatsächlich hätte der junge Parrish die viel bessere Beute abgegeben. Niemand würde einen Jungen aus einer Wohnwagensiedlung vermissen. Obwohl er seine Hausaufgaben immer pünktlich abgab.
    Whelk biss grimmig in seinen Staub-Burger. Was seine Laune auch nicht hob.
    Plötzlich begann das Münztelefon neben ihm zu klingeln. Bis dahin war Whelk noch nicht einmal bewusst gewesen, dass sich dort überhaupt ein Telefon befand; er war davon ausgegangen, dass Münzfernsprecher schon vor Jahren mit dem Aufkommen von Handys verschwunden waren. Sein Blick wanderte zu dem einzigen anderen Auto auf dem Parkplatz, um zu sehen, ob dort vielleicht jemand einen Anruf erwartete. Der Wagen war jedoch leer und sein platter rechter Reifen schien Beweis genug, dass er schon seit mehr als ein paar Minuten auf diesem Parkplatz stand.
    Nervös wartete er die ersten zwölf Mal Klingeln ab, aber niemand erschien, um ans Telefon zu gehen. Als es aufhörte, war er erleichtert, allerdings nicht genug, um zu bleiben, wo er war. Er wickelte die verbliebene Hälfte seines Burgers zurück in ihr Papier und stand auf. Wieder fing das Telefon an zu klingeln.
    Es klingelte unermüdlich weiter, während er zu der Mülltonne auf der anderen Seite der Tankstellentür ging (»Willkommen, wir haben geöffnet!«, log das Schild an der Tür), es klingelte, als er zurück zur Bordsteinkante ging und eine der Pommes aufhob, die er übersehen hatte, und es klingelte, als er sich auf den Weg zu seinem Auto machte.
    Whelk war zwar nicht unbedingt ein Menschenfreund, aber es schien, als wäre es demjenigen am anderen Ende der Leitung wirklich wichtig, irgendjemanden zu erreichen. Also ging er zurück zu dem Münztelefon, das noch immer klingelte – was für ein altmodischer Ton, dachte er, heute klang doch kein Telefon mehr so –, und nahm den Hörer von der Gabel.
    »Hallo?«
    »Mr   Whelk?«, meldete Neeve sich leise. »Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Abend.«
    Whelk klammerte sich am Telefon fest. »Woher wussten Sie, wo Sie mich erreichen?«
    »Zahlen fallen mir leicht, Mr   Whelk, und Sie sind nun wirklich nicht sonderlich schwer aufzuspüren. Außerdem habe ich ein Haar von Ihnen.« Neeves Stimme klang sanft und unheimlich. Kein lebendiger Mensch, dachte Whelk, sollte sich so sehr wie eine Computerstimme anhören.
    »Warum rufen Sie mich an?«
    »Gut, dass Sie fragen«, bemerkte Neeve. »Es geht um den Vorschlag, den Sie mir bei unserem letzten Gespräch unterbreitet haben.«
    »Bei unserem letzten Gespräch haben Sie gesagt, Sie hätten keinerlei Interesse daran, mir zu helfen«, erwiderte Whelk. Er hatte es noch immer nicht ganz verarbeitet, dass diese Frau anscheinend eins seiner Haare aufgesammelt hatte. Die Vorstellung, wie sie langsam und mit sanfter Miene durch seine dunkle, verlassene Wohnung wandelte, war alles andere als angenehm. Er wandte der Tankstelle den Rücken zu und blickte in die Nacht hinaus. Vielleicht war sie ja auch irgendwo da draußen, vielleicht war sie ihm gefolgt und wusste deshalb, wo sie ihn anrufen musste. Doch insgeheim war ihm klar, dass es nicht so war. Er hatte sie damals nur kontaktiert, weil er wusste, dass sie keine Hochstaplerin war. Sie war echt. Wo auch immer sie diese Echtheit hernahm.
    »Ja, also, was das angeht«, sagte Neeve. »Ich habe es mir anders überlegt.«

38
    H ey, Parrish«, sagte Gansey.
    Der Camaro parkte im Schatten der Fußgängerrampe direkt vor der gläsernen Krankenhaustür. Während er wartete, hatte Gansey zugesehen, wie sich die Tür immer wieder für unsichtbare Patienten öffnete und schloss. Jetzt setzte er sich hinters Steuer und Adam ließ sich auf den Beifahrersitz sinken. Adam wirkte erstaunlich unversehrt; normalerweise war er nach den Konfrontationen mit seinem Vater mit blauen Flecken und Schürfwunden übersät, diesmal jedoch war alles, was Gansey auffiel, sein leicht gerötetes Ohr.
    »Die haben mir gesagt, dass du nicht krankenversichert bist«, sagte Gansey. Außerdem hatten sie ihm gesagt, dass Adam höchstwahrscheinlich nie wieder auf dem linken Ohr hören würde. Das war am schwersten zu begreifen, dass etwas so Irreversibles geschehen war, ohne dass man etwas davon sehen konnte. Er wartete darauf, dass Adam

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