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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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sichtbar zu werden, dann der Rest seines Körpers. Sie war sich immer noch nicht ganz sicher, ob er nun erst wirklich da war oder ob er es schon die ganze Zeit gewesen war – in letzter Zeit war es schwer, sich über Existenz im Allgemeinen und Noah im Speziellen klar zu werden.
    Sie gestattete ihm, mit seinen eisigen Fingern ihr Haar zu betasten.
    »Die stehen ja gar nicht so ab wie sonst«, bemerkte er traurig.
    »Ich hab nicht viel geschlafen. Für eine anständige Abstehfrisur brauche ich meinen Schönheitsschlaf. Schön, dich zu sehen.«
    Noah verschränkte die Arme, ließ sie wieder hängen, steckte die Hände in die Taschen, zog sie wieder heraus. »Ich fühle mich nur normal, wenn du da bist. Ich meine, so normal, wie ich war, bevor ihr meine Leiche gefunden habt. Das hatte natürlich trotzdem nicht viel mit dem zu tun, wie ich war, als …«
    »Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass du so anders gewesen bist, als du noch gelebt hast«, erklärte Blue. Andererseits hatte sie immer noch große Probleme, sich diesen Noah in dem verlassenen roten Mustang vorzustellen.
    »Ich glaube«, sagte Noah zögerlich, während er sich erinnerte, »damals war ich schlimmer.«
    Das Thema der Diskussion schien gefährlich darauf hinauszulaufen, dass er wieder verschwand, also fragte Blue hastig: »Wo sind denn die anderen?«
    »Gansey und Adam sind Adams Sachen holen gefahren, damit er hier einziehen kann«, sagte Noah. »Und Ronan ist in der Bibliothek.«
    »Einziehen? Ich dachte, er hätte gesagt … Moment mal – wo ist Ronan?«
    Begleitet von zahllosen Pausen, Seufzern und versonnenen Blicken in die Baumkronen erzählte Noah ihr von den Vorkommnissen der letzten Nacht und schloss seinen Bericht mit: »Wenn Ronan für die Prügelei mit Adams Dad verhaftet worden wäre, dann wäre er auf jeden Fall von der Schule geflogen. Eine Anklage wegen Körperverletzung hätten sie ihm nicht durchgehen lassen. Aber Adam hat Anzeige gegen seinen Vater erstattet und damit war Ronan aus dem Schneider. Nur heißt das natürlich, dass Adam ausziehen muss, weil sein Dad ihn jetzt hasst.«
    »Das ist ja schrecklich«, sagte Blue. »Noah, das ist schrecklich! Ich wusste das mit Adams Dad gar nicht.«
    »Das wollte er auch so.«
    »Ein Haus, das man gerne verlässt.« So hatte Adam sein Zuhause beschrieben. Und jetzt fielen ihr natürlich auch sein geschundenes Gesicht und all die Kommentare der Jungs wieder ein, die sie sich zum Zeitpunkt ihrer Äußerung nicht hatte erklären können, alles verschleierte Anspielungen auf sein Familienleben. Ihr erster Gedanke war ein seltsam unbehaglicher – dass sie offenbar gar nicht so gut mit Adam befreundet war, denn sonst hätte er ihr wohl davon erzählt. Aber dieser Gedanke verflog schnell und an seine Stelle trat die furchtbare Erkenntnis, dass Adam keine Familie hatte. Was würde sie ohne ihre Familie machen?
    »Okay«, sagte sie, »und was macht Ronan in der Bibliothek?«
    »Lernen«, antwortete Noah. »Für die Klausur am Montag.«
    Das war das Schönste, was Blue je über Ronan gehört hatte.
    Da klingelte das Telefon deutlich hörbar aus dem Obergeschoss.
    »Geh ran!«, drängte Noah unvermittelt. »Los, schnell!«
    Blue hatte zu lange mit den Frauen im Fox Way zusammengelebt, als dass sie Noahs Eingebung hinterfragt hätte. Im Laufschritt, um mit ihm mitzuhalten, folgte sie ihm durchs Treppenhaus hoch bis zur Tür des Lofts. Sie war verschlossen. Noah vollführte eine Reihe unverständlicher Gesten, aufgebrachter, als sie ihn je erlebt hatte.
    Dann platzte es aus ihm heraus: »Ich könnte es schaffen, wenn ich …«
    »Wenn er mehr Energie hätte«, dachte Blue. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter. Augenblicklich gestärkt, stemmte Noah sich gegen den Knauf, ließ das Schloss aufschnappen und öffnete die Tür. Blue stürzte zum Telefon.
    »Hallo?«, keuchte sie in den Hörer. Das Telefon auf dem Schreibtisch war ein altmodisches schwarzes Gerät mit Wählscheibe, typisch für Ganseys Liebe zu allem, was kurios und nur knapp funktionstüchtig war. So wie sie ihn kannte, war es gut möglich, dass er nur deshalb einen Festnetzanschluss hatte, um sich genau dieses Telefon auf den Schreibtisch stellen zu können.
    »Oh, hallo, meine Liebe«, meldete sich am anderen Ende eine unbekannte Stimme, in der sie trotz dieser wenigen Worte einen auffälligen Akzent ausmachen konnte. »Ist Richard Gansey zu sprechen?«
    »Nein«, antwortete Blue, »aber ich kann etwas ausrichten.«
    Was, so hatte

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