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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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festgenommen werden.
    »Hast du getrunken?«, wiederholte der Polizist.
    »Nein«, antwortete Adam. Er konnte immer noch nicht stabil auf den Füßen stehen, der Boden schwankte und kippte mit jeder Kopfbewegung. Er wusste, dass er wie betrunken wirkte. Er musste sich zusammenreißen. Noch heute Nachmittag hatte er Blues Wange berührt. In diesem Moment hatte er sich gefühlt, als wäre alles möglich, als schwebte die ganze Welt zum Greifen nah vor ihm. Er versuchte, dieses Gefühl wieder heraufzubeschwören, doch jetzt schien es nur noch unwirklich. »Ich kann …«
    »Was?«
    »Ich kann auf dem linken Ohr nichts hören«, dachte Adam.
    Seine Mutter stand auf der Veranda und beobachtete ihn und den Polizisten mit schmalen Augen. Adam wusste, was sie dachte, denn dieses Gespräch hatte er schon unzählige Male mit ihr geführt: »Sag ihnen nichts, Adam. Erzähl ihnen, du wärst hingefallen. Ein bisschen war es doch auch wirklich deine Schuld, stimmt’s? Das können wir doch unter uns regeln, innerhalb der Familie.«
    Wenn Adam seinen Vater verpfiff, würde alles um ihn herum zusammenbrechen. Wenn Adam ihn verpfiff, würde seine Mutter ihm das niemals verzeihen. Wenn Adam ihn verpfiff, würde er nie wieder zurück nach Hause können.
    Ein paar Meter weiter legte einer der Polizisten die Hand auf Ronans Hinterkopf und schob ihn ins Innere des Einsatzwagens.
    Trotz seines tauben linken Ohres hörte Adam Ronans Stimme laut und deutlich. »Ich hab gesagt, ich kann das alleine, Mann. Denken Sie etwa, ich wäre noch nie in so einem Ding mitgefahren?«
    Adam konnte nicht bei Gansey einziehen. Wie oft hatte er sich geschworen, es nur zu seinen eigenen Bedingungen zu tun, wenn er eines Tages auszog. Nicht zu denen von Robert Parrish. Und nicht zu denen von Richard Gansey.
    Entweder zu Adam Parrishs Bedingungen oder gar nicht.
    Adam fasste sich ans linke Ohr. Die Haut dort war heiß und schmerzte, und ohne hören zu können, wie nah sich sein Finger an seinem Gehörgang befand, fühlte sich die Berührung wie eingebildet an. Das Schrillen in seinem Ohr war verklungen und jetzt war dort … nichts. Gar nichts mehr.
    Er hörte Gansey sagen: »Du bist also zu stolz, um zu gehen?«
    »Ronan hat mich nur verteidigt.« Adams Mund war so trocken wie der Staub um sie herum. Der Polizist wandte sich ihm zu und er redete weiter. »Gegen meinen Vater. Das alles … das war er. Mein Gesicht und mein …«
    Seine Mutter starrte ihn an.
    Er machte die Augen zu. Er konnte sie nicht ansehen, wenn er es aussprach. Selbst mit geschlossenen Augen war es, als würde er fallen, als neigte sich der Horizont, als sackte sein Kopf weg. Adam hatte das ungute Gefühl, dass es seinem Vater gelungen war, irgendein wichtiges Organ zu beschädigen.
    Und dann sprach er aus, was er vorher nicht herausgebracht hatte. Er fragte: »Kann ich … kann ich Anzeige erstatten?«

37
    W helk vermisste das gute Essen, das zum Reichsein dazugehörte.
    Wenn er in den Ferien von der Aglionby Academy nach Hause gekommen war, hatten seine Eltern zwar nie gekocht, aber sie hatten eine Köchin eingestellt, die jeden zweiten Abend kam und Abendessen machte. Carrie, so hieß sie, war eine exaltierte, aber auch Respekt einflößende Frau gewesen, die es liebte, Sachen mit dem Messer klein zu hacken. Gott, wie er ihre Guacamole vermisste.
    Momentan saß er auf der Bordsteinkante vor einer geschlossenen Tankstelle und aß einen trockenen Burger, den er ein paar Meilen zuvor in einem Imbiss gekauft hatte – sein erstes Fast Food seit sieben Jahren. Da er sich nicht sicher war, wie gründlich die Polizei nach seinem Wagen Ausschau hielt, hatte er lieber in einiger Entfernung zur nächsten Straßenlaterne geparkt und sich dann zum Essen an die Straße gehockt.
    Während er kaute, formierte sich ein Plan in seinem Kopf, demzufolge er auf dem Rücksitz seines Wagens schlafen und sich morgen etwas Neues ausdenken würde. Nicht gerade erhebend für sein Selbstvertrauen. Er war niedergeschlagen. Wenn er recht darüber nachdachte, hätte er Gansey einfach entführen sollen, aber Kidnapping erforderte eine so viel sorgfältigere Planung als Diebstahl und er hatte sein Haus nicht in der Erwartung verlassen, jemanden in seinem Kofferraum durch die Gegend zu fahren. Eigentlich hatte er sein Haus in gar keiner bestimmten Erwartung verlassen, sondern schlicht die Gelegenheit ergriffen, als Ganseys liegen gebliebenes Auto am Straßenrand aufgetaucht war. Wenn er überhaupt etwas Derartiges

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