Wen der Rabe ruft (German Edition)

sie das Gefühl, bislang ihre Hauptaufgabe im Leben gewesen war.
    Noah stupste sie mit seinem kalten Zeigefinger an. »Sag ihm, wer du bist.«
    »Ich helfe Gansey«, fügte Blue hinzu. »Mit der Ley-Linie.«
    »Oh!«, erwiderte die Stimme. »Na so was. Wie entzückend. Wie lautete noch gleich dein Name? Ich bin Roger Malory.«
    Er sprach das R auf eine extrem komplizierte Weise aus, die es schwer machte, ihn zu verstehen.
    »Blue. Ich heiße Blue Sargent.«
    »Blair?«
    »Blue.«
    »Blaize?«
    Blue seufzte. »Jane.«
    »Ach, Jane! Ich hatte aus unerfindlichen Gründen zuerst ›Blue‹ verstanden. Sehr erfreut, dich kennenzulernen, Jane. Ich fürchte allerdings, ich habe schlechte Nachrichten für Gansey. Würdest du ihm wohl bestellen, dass ich versucht habe, mit einem Kollegen das Ritual durchzuführen – dem Burschen aus Surrey, von dem ich bereits erzählt hatte, äußerst liebenswerter Kerl, wirklich, wenn nur dieser fürchterliche Mundgeruch nicht wäre –, und leider muss ich gestehen, dass es nicht ganz gut gegangen ist. Mein Kollege wird bald wieder wohlauf sein, die Ärzte meinen, in ein paar Wochen ist seine Haut verheilt. Die Gewebetransplantate fügen sich hervorragend ein, sagen sie.«
    »Einen Moment«, unterbrach ihn Blue. Sie schnappte sich das nächstbeste Blatt Papier von Ganseys Schreibtisch. Es sah aus wie ein Teil einer Mathehausaufgabe, da er jedoch bereits eine kleine Zeichnung von einer Katze, die einen Mann angriff, daraufgekritzelt hatte, nahm sie an, dass sie es für Notizen benutzen durfte. »Ich schreibe mir das besser alles auf. Es geht um das Ritual, mit dem man die Ley-Linie weckt, richtig? Was genau ist denn schiefgelaufen?«
    »Das lässt sich leider nur schwer ergründen, Jane. Fest steht aber, dass die Ley-Linien sehr viel mächtiger sind, als Gansey und ich erwartet hatten. Ob sie unter den Begriff Magie oder Wissenschaft fallen, wissen wir noch immer nicht, aber sie bestehen zweifelsohne aus Energie. Meinem Kollegen hat es buchstäblich die Haut abgezogen. Ich war mir schon sicher, ihn verloren zu haben, ich hätte nicht gedacht, dass ein Mensch einen solchen Blutverlust überleben könnte. Ach, wenn ich es mir recht überlege, lass diesen Teil vielleicht lieber aus, wenn du Gansey von der Sache erzählst. Der Junge kommt nicht besonders gut mit dem Thema Tod zurecht, da möchte ich ihn nicht beunruhigen.«
    Blue war zwar noch nicht aufgefallen, dass Gansey schlechter mit dem Thema Tod zurechtkam als andere, aber sie versprach, es ihm nicht zu erzählen.
    »Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was genau Sie eigentlich gemacht haben«, hakte Blue nach.
    »Ach, habe ich das nicht?«
    »Nein. Was bedeutet, dass wir es versehentlich auch machen könnten, solange wir nicht wissen, was es ist.«
    Malory schmunzelte. Es klang, als versuchte jemand, die Schlagsahne von einer Tasse heißer Schokolade zu schlürfen. »Da hast du allerdings recht. Nun, es war meines Erachtens die logischste Herangehensweise und sie basierte, um die Wahrheit zu sagen, auf einer Idee, die Gansey schon vor langer Zeit hatte. Wir haben einen neuen Steinkreis aufgebaut, aus Steinen mit hervorragenden Energiewerten – das ist jetzt alles ziemlich theoretisch, Jane. Ich weiß ja nicht, wie gut du dich mit diesen Dingen auskennst, aber es freut mich wirklich sehr, ein Mädchen kennenzulernen, das sich mit unserer Sache beschäftigt. Ley-Linien sind immer noch mehr oder weniger ein Männergeschäft und es ist schön zu hören, dass eine junge Dame wie du …«
    »Ja«, stimmte Blue zu. »Es ist echt toll. Ich habe jede Menge Spaß. Und Sie haben also einen Steinkreis aufgebaut?«
    »Ah ja, richtig. Wir haben sieben Steine im Kreis aufgestellt, und zwar, wie wir zumindest hofften, mitten auf der Ley-Linie, und dann haben wir sie so lange justiert, bis wir zwischen den Steinen einen sehr hohen Energiewert messen konnten. Ungefähr so, wie man ein Prisma positioniert, würde ich sagen, um Licht zu bündeln.«
    »Und da hat ihr Partner dann, äh, seine Haut verloren?«
    »Ungefähr zu dem Zeitpunkt, ja. Er hat eine Messung in der Mitte des Kreises durchgeführt und – bedauerlicherweise kann ich mich nicht mehr erinnern, was genau er gesagt hat, die Ereignisse danach haben mich doch zu sehr überwältigt – jedenfalls hat er irgendeine drollige Bemerkung gemacht, einen Witz oder etwas in der Art – du weißt doch, wie die jungen Leute so sind, Gansey lockert ja auch gerne die Atmosphäre mit seinen Späßen