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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Ich habe keine Ahnung, ob wir nach einem Fädchen oder einer mehrspurigen Straße suchen, selbst nach der ganzen Zeit nicht. Gut möglich, dass wir schon wenige Meter davon entfernt waren und es einfach nicht gemerkt haben.«
    Wenn Adam sich weiter so den Hals verdrehte, würde er sich noch was ausrenken. Von der Kellnerin war immer noch nichts zu sehen. Er wirkte müde von zu vielen Abenden in Folge, an denen er lange aufgeblieben war, um zu arbeiten oder zu lernen. Gansey gefiel es gar nicht, ihn so zu sehen, aber nichts von dem, was ihm in den Kopf kam, hätte er tatsächlich zu ihm sagen können. Adam tolerierte kein Mitleid.
    »Immerhin wissen wir, dass man sie mit der Wünschelrute aufspüren kann, also können sie so schmal nicht sein«, antwortete Adam und rieb sich mit dem Handrücken über die Schläfe.
    Genau das war es gewesen, was Gansey überhaupt nach Henrietta geführt hatte: monatelange Recherche und Wünschelrutengänge. Später hatte er gemeinsam mit Adam versucht, die Linie präziser zu orten. Sie hatten die ganze Stadt mit einer Rute aus Weidenholz und einem Messgerät für elektromagnetische Frequenzen umrundet und dabei immer wieder die Instrumente untereinander getauscht. Ein paarmal hatte das Gerät einen seltsamen Ausschlag gezeigt und Gansey hatte geglaubt, im selben Moment gefühlt zu haben, wie die Wünschelrute in seinen Händen zuckte, aber da er es sich so verzweifelt wünschte, war es möglicherweise auch nur Einbildung gewesen.
    »Ich könnte ihn warnen, dass irgendwann seine Noten in den Keller gehen, wenn er es nicht ein bisschen langsamer angehen lässt«, überlegte Gansey mit einem Blick auf die dunklen Ringe unter Adams Augen. Vielleicht würde Adam es ja nicht als Mitleid ansehen, wenn Gansey sich selbst vorschob. Er überlegte, wie er es möglichst selbstsüchtig klingen lassen konnte: »Wenn du dir eine Grippe einfängst, bist du mir keine große Hilfe.« Nein, das würde Adam sofort durchschauen.
    Stattdessen sagte Gansey: »Wir brauchen erst mal einen festen Punkt A, bevor wir anfangen, über Punkt B nachzudenken.«
    Natürlich hatten sie längst einen Punkt A. Sie hatten sogar einen Punkt B. Das Problem war nur, dass die Punkte zu groß waren. Gansey hatte eine Landkarte von Virginia aus einem Buch gerissen, auf der mit dunkler Farbe die Ley-Linie eingezeichnet war. Genau wie die Ley-Linien-Fanatiker in Großbritannien bestimmten auch die amerikanischen Suchenden die wichtigsten spirituellen Orte und verbanden sie mit Linien, bis sich die Ley-Linie herauskristallisierte. Es schien also, als wäre alle Arbeit bereits für sie erledigt worden.
    Doch die Schöpfer der Karten hatten diese niemals als Straßenkarten vorgesehen, dafür waren sie einfach zu ungenau. Eine davon führte lediglich New York City, Washington, D.C., und den Pilot Mountain in North Carolina als mögliche Orientierungspunkte auf. Und jeder dieser Punkte umfasste ein Gebiet von mehreren Meilen – die feinste Bleistiftlinie auf so einer Karte war in Wahrheit an die zehn Meter breit. Selbst wenn man nur die wahrscheinlichsten Orte gelten ließ, blieben noch Tausende Hektar übrig, wo sich die Ley-Linie befinden konnte. Tausende Hektar, wo sich Glendower befinden konnte, vorausgesetzt, er war überhaupt irgendwo auf der Ley-Linie.
    »Ich frage mich«, dachte Adam laut, »ob wir vielleicht entweder die Wünschelruten oder die Linie unter Strom setzen könnten. Du weißt schon, indem wir sie an eine Autobatterie anschließen oder so.«
    Wenn du einen Kredit aufnehmen würdest, bräuchtest du erst nach dem College wieder zu arbeiten. Nein, das würde auf direktem Weg zu einem Streit führen. »Das klingt eher nach den Vorbereitungen für eine Foltersession oder ein Musikvideo«, erwiderte Gansey.
    Adams Nach-der-giftigen-Kellnerin-such-Gesichtsausdruck war seinem Geniale-Idee-Gesichtsausdruck gewichen. Seine Erschöpfung schien verpufft zu sein. »Na ja, um sie zu verstärken eben, das ist alles. Irgendwas, was die Linie lauter und einfacher zu verfolgen macht.«
    Es war gar keine so schlechte Idee. Letztes Jahr hatte Gansey in Montana das Opfer eines Blitzschlags befragt. Der Junge hatte auf seinem Quad im Eingang einer Scheune gesessen, als er vom Blitz getroffen worden war. Seit diesem Vorfall wurde er von einer unerklärlichen Angst, sich in Gebäuden aufzuhalten, geplagt, verfügte jedoch außerdem über die verblüffende Fähigkeit, eine der westlichen Ley-Linien mit nichts als einem verbogenen Stück

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