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Wen der Rabe ruft (German Edition)

Wen der Rabe ruft (German Edition)

Titel: Wen der Rabe ruft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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schien wie ausgleichende Gerechtigkeit, dass in diesem Fall vielleicht Declan derjenige war, der an der Nase herumgeführt wurde.
    »Ich behaupte ja gar nicht, dass du unrecht hast, Declan«, räumte Gansey ein. Sein Ohr pochte noch immer von dem Fausthieb. Er fühlte Ronans Puls gegen seinen Arm wummern, mit dem er ihn festhielt. Sein Vorhaben, gründlicher zu überlegen, was er sagte, fiel ihm wieder ein, also formulierte er den Rest seiner Aussage zunächst in Gedanken, bevor er ihn aussprach. »Aber du bist nicht Niall Lynch und du wirst es auch nie sein. Und du würdest im Leben viel besser vorankommen, wenn du endlich aufhören würdest, es zu versuchen.«
    Gansey ließ Ronan los.
    Der rührte sich jedoch nicht, genauso wenig wie sein Bruder; es war, als hätte Gansey eine Art Bann über sie verhängt, indem er den Namen ihres Vaters ausgesprochen hatte. In beiden Gesichtern spiegelte sich etwas Rohes, Wundes. Unterschiedliche Verletzungen, beigebracht durch ein und dieselbe Waffe.
    »Ich will ihm doch nur helfen«, erklärte Declan schließlich, aber es klang, als hätte er schon aufgegeben. Ein paar Monate zuvor hätte Gansey es ihm vielleicht noch abgenommen.
    Ronan stand neben Gansey, die Hände offen zu beiden Seiten herabhängend. Manchmal, nachdem Adam verprügelt worden war, lag in seinen Augen etwas Distanziertes, Abwesendes, so als gehörte sein Körper jemand anderem. Bei Ronan wirkte es sich ins genaue Gegenteil aus, er entwickelte eine so eindringliche Präsenz, dass es schien, als hätte er bis dahin bloß geschlafen.
    »Das verzeihe ich dir nie«, sagte er zu seinem Bruder.
    Das Fenster des Volvos schloss sich surrend, als hätte Ashley gerade begriffen, dass dieses Gespräch nicht mehr für ihre Ohren bestimmt war.
    Declan saugte an seiner blutenden Lippe und starrte einen Augenblick lang zu Boden. Dann straffte er die Schultern und rückte seine Krawatte zurecht.
    »Das wäre von dir sowieso nicht mehr viel wert«, erwiderte er und zog die Autotür auf.
    Noch bevor er ganz auf dem Fahrersitz saß, informierte er Ashley: »Ich will nicht darüber reden«, dann knallte er die Tür zu. Die Reifen des Volvos gruben sich quietschend in den Asphalt und Gansey und Ronan blieben allein im eigenartig schummrigen Licht des Parkplatzes zurück. Einen Block weiter stieß ein Hund ein unglückliches Bellen aus, drei Mal. Ronan fuhr sich mit dem kleinen Finger über die Augenbraue, um nach Blut zu tasten, doch es war keins da, nur eine heftige Beule.
    »Regelt das«, beschied Gansey. Er war sich zwar nicht sicher, ob das, was Ronan getan oder nicht getan hatte, sich so einfach in Ordnung bringen lassen würde, klar war jedoch, dass es in Ordnung gebracht werden musste. Der einzige Grund, warum Ronan im Monmouth Manufacturing wohnen durfte, waren seine einigermaßen akzeptablen Noten. »Egal, was es ist. Lass nicht zu, dass er recht behält.«
    Ronan sagte, so leise, dass Gansey es gerade eben hören konnte: »Ich glaub, ich schmeiß hin.«
    »Nur noch ein Jahr.«
    »Ich will aber nicht noch ein Jahr so weitermachen.« Er kickte einen Kiesel unter den Camaro. Seine Stimme veränderte sich, doch sie wurde nur aggressiver, nicht lauter. »Noch ein Jahr, und dann? Soll ich mich dann vielleicht auch von einer Krawatte erwürgen lassen, so wie Declan? Ich bin verdammt noch mal kein Politiker, Gansey. Und auch kein Banker.«
    Das war Gansey auch nicht, dennoch brach er deswegen nicht gleich die Schule ab. In Ronans Stimme lag so viel Schmerz, dass Gansey seinen eigenen nicht durchklingen lassen durfte, als er schließlich sagte: »Mach einfach deinen Abschluss, dann kannst du tun und lassen, was du willst.«
    Der Reichtum ihrer Väter stellte sicher, dass keiner von ihnen je seinen Lebensunterhalt würde verdienen müssen, wenn sie nicht wollten. Sie waren irrelevante Teile im Getriebe der Gesellschaft und an dieser Tatsache trug Ronan wesentlich schwerer als Gansey.
    Ronan sah wütend aus, doch in seiner jetzigen Stimmung war daran nichts zu ändern. »Ich weiß nicht, was ich will. Mann, ich weiß noch nicht mal, was ich bin.«
    Er stieg in den Camaro.
    »Du hast es mir versprochen«, sagte Gansey durch die geöffnete Autotür.
    Ronan sah nicht auf. »Ich weiß, was ich gesagt habe, Gansey.«
    »Vergiss es nicht.«
    Ronan knallte die Tür zu und das Geräusch hallte über den Parkplatz, viel zu laut, wie Geräusche es im Dunkeln meistens waren. Gansey gesellte sich zu Adam auf seinem sicher entfernten

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