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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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wie solltest du? Du verstehst die Gründe der Macht ja gar nicht. Ich bin mächtig, weil die Mächtigen mich brauchen. Ich bin notwendig. Die Schwachen und Wählerischen wenden den Blick ab. Das ist meine Stärke. Ich bin stark, wo sie nicht hinzuschauen wagen.«
    »Und das hat dich zu dem gemacht, was du bist«, erwiderte ich. »Es bereitet dir Lust, und hinterher suchst du nach Worten, um diese Lust zu rechtfertigen. Du bist verdorben. Kein Mensch kann tun, was du tust, ohne dass sein Verstand leidet. Nur Tyrannen brauchen Kreaturen wie dich.«
    Vermutlich hatte er erwartet, dass ich um mein Leben flehe, und bestimmt gab ihm selten eines seiner Opfer Widerworte; ich konnte es an seinem Gesicht erkennen. Die Züge um seinen Mund hatten sich verhärtet. Kurz blieb er still; dann riss er mit einer plötzlichen Drehung die glühende Eisenstange hoch und schlug sie mir auf den Oberarm.
    Ich schrie auf. Mit zusammengebissenen Zähnen sagte ich: »Willst du damit dir oder mir etwas beweisen?«
    »Wie simpel du denkst«, murmelte er. »Ich habe schon viel Stärkere als dich erniedrigt. Glaubst du wirklich, du kannst mir mit deiner aufgesetzten Tapferkeit widerstehen? Ich werde dir deine Würde Schicht um Schicht abziehen, wie eine Haut, und du wirst um den Tod flehen, lange bevor ich mit meiner Arbeit fertig bin. Du ahnst nicht, wie langsam die Zeit vergehen kann.«
    Mein Mund war trocken. Ich schluckte. Er beobachtete es lächelnd.
    »Dann fang an«, sagte ich.
    »Oh ja, das werde ich, aber nicht hier.« Er legte die Eisenstange weg. »Es gibt dringende Angelegenheiten. Wir werden bis Konstantinopel warten, wo ich meine Werkstatt habe. Dort sollst du das ganze Ausmaß meiner Kunst erleben … Wachen, bringt ihn hinaus!«
    Ich wurde in einen Käfig auf Rädern gesteckt und angekettet wie ein wildes Tier. Als klar war, dass ich nicht hier und jetzt getötet werden sollte, warf mir einer seiner Henkersknechte eine alte Decke zu und gab mir einen Teller Bohnensuppe.
    Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang brachen wir auf und zogen in die Ebene Thrakiens hinunter, die Soldaten imSattel und der Notar in einem geschlossenen Wagen. Rufus sah ich nirgends.
    Wir kamen nach Philippopolis und verbrachten die Nacht in einer Kaserne am Stadtrand. Die Kaserne war so gut wie leer; vermutlich war dies in ganz Thrakien so, bis nach Konstantinopel. Auf Julians Schnelligkeit war der Kaiser nicht vorbereitet gewesen.
    Für mich war diese Erkenntnis nutzlos. Meine Bewacher gingen kein Risiko ein. Zweifellos wussten sie, was ihnen blühte, wenn sie in den Augen des Notars versagten.
    Ich stellte fest, dass ich von meiner Umgebung jede Kleinigkeit wahrnahm – die Schwalbenschwärme am Abendhimmel, den Schrei des Habichts im Morgengrauen. Ich dachte an den Tod und an die Götter und an Marcellus, den ich nicht wiedersehen würde. Es würde etliche Tage dauern, bis er mein Verschwinden bemerkte, und dann gäbe es keinen Hinweis, wohin ich gegangen sein könnte. Rufus – oder vielmehr sein Anstifter – hatte es klug eingefädelt, als er Marcellus in die Berge geschickt hatte. Ich sah ihn schon die Felsklüfte absuchen, in dem Glauben, ich sei hineingestürzt, und das quälte mich.
    Wir reisten weiter auf der Militärstraße entlang des Hebrus.
    Bei Hadrianopel kam ein Mann in der Kleidung eines Beamten zu uns und fragte laut und wichtigtuerisch nach dem Notar. Ich konnte nur wenige Worte aufschnappen. Als mein Bewacher mir das nächste Mal Wasser und Essen unter den Gitterstäben durchschob, fragte ich ihn, was der Mann gewollt hatte.
    »Nichts, was dich betrifft«, antwortete er im Weggehen. »Regierungsgeschäfte. Halt jetzt den Mund.«
    Kurz darauf sah ich den Notar als geschmeidige Silhouette im Schein der Fackeln mit dem Beamten davoneilen. Mein Instinkt sagte mir, dass da etwas Unvorhergesehenes im Gange war. Andererseits war in Gegenwart des Notars niemand ohne Anspannung. Als ich Paulus dann zurückkommen sah und alles weiterging wie bisher, war ich sicher, mich einer falschenHoffnung hingegeben zu haben, die mein Urteilsvermögen trübte.
    Tagsüber redete ich mir ein, ich könne die Folter durchstehen, doch wenn es dunkel wurde, wusste ich, dass das Einbildung war. Selbst meine Bewacher behandelten mich mit respektvoller Furcht und wichen meinem Blick aus, als wäre ich ein schlechtes Omen, ein Vorbote finsterer Schrecken, den man besser von sich fernhielt.
    Am nächsten Morgen ging es weiter über eine Zypressenallee zwischen

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