Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)
unternehmungslustig wirkte. Halb im Scherz rief ich ihm nach: »Wo bleibt deine Ausbildung, Rufus? Du hast nicht einmal dein Schwert gezogen.«
Dummerweise hatte ich meines auch nicht gezogen. Hinter der Felsschulter kam ein dichtes Gebüsch. Rufus war nicht zu sehen. Ich ging noch einen Schritt und rief nach ihm.
Plötzlich nahm ich eine schnelle Bewegung wahr; dann drückte sich etwas Spitzes an meinen Rücken. Ich brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass es eine Klinge war.
»Es tut mir leid, Drusus, aber es geht nicht anders«, sagte Rufus.
Dann rief er laut, und aus der Deckung des Gebüschs kamen Männer mit Speeren hervor und umringten mich.
ZWÖLFTES KAPITEL
Sie hielten mich mit ihren Waffen in Schach wie ein gefährliches Tier. Die Klingen blinkten in der Sonne, die schräg durch die Kronen der Kiefern fiel.
Ich konnte nicht begreifen, was geschehen war.
Einer der Männer stieß mich energisch mit der Speerspitze an. »Lass dein Schwert fallen«, sagte er.
Ich gehorchte, zog es aus der Scheide und ließ es fallen. Die Männer trugen die Uniformen unseres Reiches und einige Abzeichen, die ich nicht kannte. In meiner Verwirrung dachte ich zunächst, sie wären von unserer Garnison, aber das war ein Irrtum.
»Dein Messer auch«, sagte Rufus und trat von hinten an mich heran, »dein Jagdmesser, das in deiner Tunika versteckt ist. Das Messer, das du von Marcellus bekommen hast.«
Ich blickte ihn finster an; dann zog ich das Messer hervor und warf es hin. Bis dahin hatte ich benommen reagiert, wie jemand, der aus dem Schlaf gerissen wird und nicht weiß, wo er ist. Doch jetzt begann mein Verstand zu arbeiten, wenn auch zu spät.
»Du hast das eingefädelt«, sagte ich zu Rufus. »Warum? Was habe ich dir getan?«
In plötzlicher Wut rief er: »Jetzt wirst du selbst sehen, wie es ist, wenn man alles verliert, was zählt.«
Ich schüttelte den Kopf. Die Soldaten starrten uns an.
»Das ist nicht bloß dein Werk«, sagte ich. »Wer hat dir geholfen?«
»Keiner!«
Doch er konnte meinem Blick nicht standhalten und wandte die Augen ab. »Wir werden nicht gewinnen, das sieht jeder. Wir können nicht gewinnen.«
»Das klingt ganz nach Nevitta.«
»Oh, ich kann selbst denken.«
»Na schön.« Ich deutete mit dem Kinn auf die Speere. »Worum geht es?«
»Das wirst du früh genug sehen. Er hat mir gesagt, es wird eine Einigung geben, wenn ich dich zu ihm bringe.«
»Wer hat das gesagt? Nevitta?«
»Nein! Ein mächtiger Mann, ein Gesandter des Kaisers.« Seine Stimme schwankte, denn er war überreizt und aufgewühlt. Kurz starrte er mich an, dann sagte er zu meinem Entsetzen: »Es ist sein persönlicher Agent, der Notar Paulus. Er sagt, er will nur Frieden.«
Ich blickte ihm in die Augen. »Bei den Göttern, Rufus, begreifst du, was du getan hast? Dieser Mann ist mein größter Feind. Er ist ein Foltermeister und Mörder, und wenn er mich haben will, dann nur, damit er mich töten kann. Man hat dich betrogen. Er will weder Frieden schließen, noch will er eine Einigung. Er hat dich benutzt …«
Der Anführer der Soldaten brachte mich mit einem Speerstoß zum Schweigen. Rufus stieß ein gezwungenes Lachen aus. »Was denn? Hat der tapfere Drusus Angst? Sieht man jetzt den wahren Mann hinter den hehren Worten?«
Ich ging nicht darauf ein. Meine Gedanken waren bereits auf meine Flucht gerichtet. Mir war klar, was der Notar tun würde, sobald er mich in die Finger bekam.
Die Soldaten wussten es ebenfalls. Sie fesselten mich straff mit geflochtenen Lederschnüren und führten mich weg. Wir kamen an einem Toten vorbei, der zwischen den Bäumen lag. Ich erkannte ihn. Es war einer der Späher der Garnison. Er musste der Meute in die Arme gelaufen sein.
Wir gelangten zu einem versteckten Lager, wo Pferde standen. Ich wurde verschnürt wie ein Hirsch, und wir passierten die Schlucht und begannen den Abstieg nach Thrakien.
Nachdem die Männer stundenlang über gewundene Bergpfade gestapft waren, erreichten wir in den Ausläufern des Gebirges ein befestigtes Lager, von wo man über die Ebene schauen konnte. Dort standen mehrere Soldatenzelte; in der Mitte erhob sich ein Pavillon mit der Flagge des Kaisers auf dem Dach. Ich betrachtete den Pavillon düster, da ich erriet, wer sich darin aufhielt.
Unterwegs hatte ich die üblichen Listen ausprobiert. Ich hatte gerufen, ich müsse mich erleichtern; ein andermal hatte ich geklagt, meine Fesseln säßen zu stramm und dass ich keine Luft bekäme, und ob sie
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