Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
Vom Netzwerk:
verborgenen Feuers.
    Wie immer, wenn wir mit anderen zusammen waren, legte er eine tadellose Höflichkeit an den Tag. Sie war ihm anerzogen worden; gute Manieren waren ihm so selbstverständlich wie das Atmen. Aber wenn wir allein waren, ertappte ich ihn manchmal, wie er in melancholische Gedanken vertieft in die Lampenflamme oder zum leeren Horizont starrte.
    Er war zu großmütig, um mich damit zu belasten; doch ich spürte seine Traurigkeit. Wenn ich dann manchmal in seine Träumerei einbrach, blickte er auf und sagte lächelnd etwas Unbeschwertes, worauf er eine Zeit lang die trübe Stimmung abzuschütteln schien. Doch später holte sie ihn jedes Mal wieder ein.
    In der Nähe des Pariser Forums, auf der Südseite des Flusses, hatten wir die Bäder der Stadt und die Palästra ausfindig gemacht, wo die Athleten auf Rasenflächen und in Kolonnadenhöfen übten. Dort vertrieben wir uns die Wartezeit bis zur Ankunft Julians und stählten unsere Körper. Ich hatte noch nie erlebt, dass Marcellus in irgendeiner Sache gescheitert wäre;deshalb nahm ich an, er war sich bewusst, auf was er sich einließ, als er sich Ringern zum Zweikampf stellte, die viel stärker waren als er und deren Leben nur aus Kampf bestand.
    Seine Niederlage war jedes Mal vernichtend. Dennoch forderte er sie immer wieder aufs Neue heraus und saß hinterher in grimmigem Schweigen da, während ich seine Schrammen behandelte. Nie jammerte oder klagte er; stets behielt er seine Schmerzen mit zornigem Eigensinn für sich. Vielleicht wirkte die körperliche Gewalt reinigend auf ihn. Wie auch immer, er sprach mit mir nicht darüber.
    Nur ab und zu bröckelte seine Maske der Gleichmut, und er wurde wegen irgendeiner Kleinigkeit wütend – ein zerrissener Schnürsenkel, ein Lampendocht, der nicht brennen wollte, oder ein nicht auffindbares Kleidungsstück genügten schon. Manchmal hörte ich ihn nachts im Schlaf stöhnen und sich hin und her wälzen, bis er unvermittelt hochschreckte. Dann sprach ich ihn im Dunkeln an, worauf er nackt zu meinem Bett herüberkam, unter meine Decke kroch und wortlos einschlief.
    Um sich am nächsten Morgen zu wundern, wie er dorthin gelangt war.
    So vergingen die Tage, und es schien, als käme ich nicht an ihn heran.
    Zu der Zeit sahen wir Eutherius häufig. Gekleidet in Orange, Gelb und Malve, bunt wie ein großer exotischer Vogel, erzählte er uns mit melodischer Stimme von seinem Leben in Konstantinopel unter den bestechlichen, selbstsüchtigen Beamten des Konsistoriums, oder er beklagte die Derbheit des nördlichen Galliens, das er für unzivilisiert hielt. Doch stets leuchtete leiser Spott in seinen dunklen Augen, als hätte er schon viel Schlimmeres erlebt.
    Und das hatte er in der Tat, wie sich bald herausstellte.
    Eines Abends beim Essen erfuhren wir davon. Er erwähnte zufällig, dass er den Tag auf der Straße hinter dem Forum verbracht hatte, wo die Bordelle sind, und fügte hinzu, wobei erden Kopf schüttelte und sein großes, ausdrucksvolles Gesicht verzog: »Ein entsetzlicher Anblick. Selbst den Kurtisanen mangelt es an Kunstfertigkeit. Sie bewegen sich wie Bauernmädchen und bemalen sich das Gesicht, dass sie aussehen wie eine geweißelte Hofmauer; sie stieren und spucken und bohren in der Nase. Ich wundere mich, dass sie sich in dem Gewerbe überhaupt halten können, und kann mir gar nicht vorstellen, wie sie über die Runden kommen … Nicht dass ich einer ihrer Kunden wäre, versteht sich.«
    Marcellus und ich versicherten ihm eiligst, dass wir das keineswegs annähmen. Wir hatten bereits unsere eigenen Schlüsse gezogen, was Eutherius’ Geschmack anging – und der hatte nichts mit den Gassenhuren hinter dem Forum zu tun.
    »Aber lass dich nicht täuschen, mein lieber Drusus«, fuhr er fort, nachdem er meine Gedanken offenbar erraten hatte. »Man stellt häufig fest, dass die prachtvollsten Pfauen den unscheinbarsten Hennen nachjagen und die anspruchsvollsten Männer insgeheim das Schmutzige, Niedere genießen. Das fällt einem auf – auch wenn man selbst des Vergnügens beraubt ist.«
    Ich pflichtete ihm bei, obwohl ich nicht ganz verstand, was er meinte. Er war eindeutig ein begüterter Mann, der sich jedes Vergnügen leisten konnte, nach dem ihm der Sinn stand. Ich warf ihm einen verstohlenen Seitenblick zu, den er jedoch bemerkte, denn er sagte: »Du hast es nicht gewusst?« Und als er meine Verwirrung sah: »Nun, woher auch? Ich hatte allerdings vermutet … aber man soll sich nicht auf Vermutungen

Weitere Kostenlose Bücher