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Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Wen die Götter lieben: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Waters
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verlassen.«
    Dann lehnte er sich an seine breite Polsterliege, strich seine Kleidung glatt und erzählte uns seine schreckliche Geschichte.
    Er war in Armenien aufgewachsen, in einem wilden Bergdorf am Rand des Reiches, in einer Gegend, die häufig umkämpft gewesen war. Eines Tages, er war gerade acht Jahre alt, kamen Stammeskrieger über das Gebirge, um zu morden und zu plündern. Sie brannten sein Dorf nieder und töteten, wensie vorfanden, nachdem sie den Frauen Gewalt angetan hatten. Eutherius wäre mit allen anderen umgekommen, doch da er ein hübscher Knabe war, hielt der Plünderer sein Schwert zurück.
    Bald jedoch wurde Eutherius klar, dass er nicht aus Mitleid verschont worden war. Der Mann, der ihn gefangen genommen hatte, verkaufte ihn in der nächsten Stadt an einen römischen Kaufmann. »Zuerst verstand ich das nicht, denn ich wurde weder schlecht behandelt noch zu Sklavenarbeit gezwungen und lebte in üppigen Verhältnissen, verglichen mit meiner Herkunft. Doch einen halben Monat später, als ich kräftiger geworden war und nicht mehr den ganzen Tag weinte, kam mein neuer Gebieter, der bis dahin freundlich zu mir gewesen war, eines Morgens zu mir und sagte, ich müsse mit zwei Freunden mitgehen, die im Empfangszimmer warteten.
    Und so ging ich. Die Männer verließen mit mir die Stadt und brachten mich zu einem Gehöft inmitten eines Olivenhains. Als wir uns näherten, hörte ich Schreie, wehrte mich aber noch nicht, denn in meiner Unschuld wusste ich nicht, dass man auch Knaben kastriert.«
    Marcellus, der getrocknete Aprikosen und Feigen aß, stellte den Teller langsam hin und starrte Eutherius voller Entsetzen an. »Bei den Göttern«, flüsterte er.
    »Es ist lange her. Man vergisst.«
    »Was geschah dann?«, fragte Marcellus. »Wie bist du in den Dienst des Kaisers gekommen?«
    Er erzählte es uns. Nach jenem Tag sah er seinen Herrn nicht wieder. Sobald er genesen war, wurde er an Händler verkauft, die ihn auf die lange Reise nach Konstantinopel mitnahmen. Dort erwarb ihn ein Aufkäufer des Kaiserpalasts. Man ließ ihm eine gute Erziehung angedeihen, und da er sich als begabt erwies, teilte man ihm die Arbeit eines Schreibers zu. Er zeichnete sich aus und wurde befördert.
    »Weißt du, was ich oft gedacht habe? Wären diese Viehdiebe nicht gewesen, würde ich heute noch Steine aus dem Ackerboden hacken und an einem sonnengedörrten Hang Ziegen hüten wie einst meine Eltern und ihre Eltern vor ihnen. Stattdessen lese ich nun Bücher in vier Sprachen; ich besitze ein schönes Haus, von dem ich über den Bosporus schaue, verfüge über Reichtum und die Freundschaft bedeutender Männer und wohne im Zentrum der Macht. Es war ein Tausch, den kein Mann freiwillig eingehen würde; dennoch war es vielleicht ein guter Handel.«
    Darauf ließ sich nichts erwidern.
    Marcellus und ich tranken an dem Abend eine beträchtliche Menge Wein. Später, als wir im Dunkeln in unserem Zimmer lagen, flüsterte Marcellus, nachdem er lange geschwiegen hatte: »Weißt du, Drusus, ich bin froh, dass Eutherius heute Abend seine Geschichte erzählt hat. Ich sollte sie wohl hören. Denn ich habe zuletzt aus den Augen verloren, dass es überall Unglück gibt. Kein Mensch kann ihm entrinnen. Es kommt nur darauf an, wie man sich ihm stellt.«
    Nach diesem Abend spürte ich eine Veränderung bei Marcellus. Häufig traf ich ihn und Eutherius nun zusammen an. In ein Gespräch vertieft, schlenderten sie gemächlich über die gepflasterten Wege in den Gärten und spazierten zwischen den Buchsbaumhecken oder die Kolonnaden entlang – Marcellus in aufrechter Haltung, wobei er mit kräftigen, wohlgeformten Händen seine Rede unterstrich; Eutherius groß und dick und freundlich wie ein in Seide gewandeter Bär.
    Hatte Eutherius tiefer geblickt als ich und Marcellus gegeben, was er brauchte? Ich war nahe daran, eifersüchtig zu werden.
    Während Marcellus sich zunehmend für Eutherius erwärmte, entwickelte er bald tiefen Abscheu gegen den neu eingetroffenen Präfekten, einen Mann namens Florentius.
    Florentius war ein Mann, der seine eigenen Verdienste keinen Augenblick anzweifelte. Er war im mittleren Alter, hatte ein schmales, hochmütiges Gesicht und einen verfilzten kastanienbraunen Schopf, da er sich von seinen Sklaven die Haaretäglich mit einem heißen Eisen kräuseln ließ. Er besaß ein feines Gespür für die eigene Würde, aber nicht den geringsten Sinn für Humor.
    Marcellus und ich fanden ihn von Anfang an unerträglich,

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