Wende
vermutlichen Dieb halbtot zu prügeln.
Poggio aber brachte alle Voraussetzungen mit, derlei Prüfungen zu bestehen. Er hatte sich außergewöhnliche Fähigkeiten erworben, alte Handschriften zu entziffern, war ein begabter Latinist mit besonders scharfem Blick für Diktion, Rhetorik und grammatische Strukturen, an denen sich das klassische Latein erkennen ließ. Ausgiebig und aufmerksam hatte er sich mit der antiken Literatur beschäftigt, auch Dutzende von Zeichen memoriert, an denen sich die Identität eines besonderen Autors oder ein verlorenes Werk erkennen ließen. Er war weder Mönch noch Priester, hatte aber lange genug in der Kurie und am Hof des Vatikan gedient, die institutionellen Strukturen der Kirche also aufs Intimste kennen gelernt, kannte zudem viele der mächtigsten Kleriker persönlich, einige einander nachfolgende Päpste eingeschlossen.
Und wenn selbst seine außerordentlichen Beziehungen versagten, die Türen der Bibliothek eines abgelegenen Klosters verschlossen blieben, dann war da noch sein beträchtlicher persönlicher Charme. Er konnte wunderbar erzählen, war ein geschickter Plauderer und unermüdlicher Unterhalter, der gerne auch gewagte Anekdoten zum Besten gab. Natürlich konnte er sich mit den deutschen Mönchen nicht in deren Muttersprache unterhalten. Zwar hatte er drei Jahre in einer deutschsprachigen Stadt gelebt, doch nach eigenen Angaben kein Deutsch gelernt. Bei einem so sprachbegabten Mann konnte solche Unkenntnis nur auf Unwillen zurückgehen. Tatsächlich galt Deutsch als Sprache von Barbaren, und Poggio hatte kein Interesse, sie zu lernen. Er wird sich während des Konzils in Konstanz wohl ausschließlich in Gesellschaft italienisch und lateinisch sprechender Menschen bewegt haben.
Unterwegs, in Gasthäusern und an anderen Stationen seines Weges, dürfte es zu praktischen Schwierigkeiten geführt haben, dass er kein
Deutsch sprach; hatte er aber erst einmal sein Ziel erreicht, dürfte es kein großes Problem mehr gewesen sein. Abt, Bibliothekar und viele Mitglieder der klösterlichen Gemeinschaft sprachen Lateinisch. Wobei sie wohl kaum über das elegante klassische Latein verfügten, das sich Poggio so gewissenhaft angeeignet hatte, dafür aber, wenn man nach den vielen kraftvollen Werken urteilen kann, die überliefert sind, ein lebendiges, fließendes, hoch flexibles Latein, das von subtilsten scholastischen Distinktionen ohne weiteres übergehen konnte zu weltlichsten Obszönitäten. Gewann Poggio den Eindruck, er könnte seine Gastgeber mit moralisierender Ernsthaftigkeit beeindrucken, dann konnte er sich eloquent über die Misere der menschlichen Existenz auslassen; glaubte er, die Klosterleute ließen sich gewinnen, indem er sie zum Lachen brachte, wird er seine Geschichten über Bauerntölpel, gefällige Hausfrauen und den sexuellen Appetit von Priestern erzählt haben.
Noch eine weitere Begabung unterschied Poggio von praktisch allen anderen Bücherjägern. Er war ein äußerst gut geschulter Schreiber, verfügte über eine exzellente Handschrift und ein hohes Maß an Genauigkeit. Uns Heutigen wird es schwerfallen, die Bedeutung solcher Eigenschaften zu ermessen: Unsere technischen Mittel, Abschriften, Faksimiles und Kopien herzustellen, haben fast völlig überflüssig gemacht, was einmal eine bedeutende persönliche Leistung war. Schon zu Poggios Lebzeiten verlor dies, zunächst allerdings allmählich, an Bedeutung, denn in den 1430er Jahren hatte Johann Gutenberg, ein deutscher Unternehmer, begonnen, mit einer neuen Erfindung zu experimentieren, den beweglichen Lettern, und das sollte die Reproduktion und Verbreitung von Texten revolutionieren. Gegen Ende des Jahrhunderts würden Drucker, allen voran der große Aldus aus Venedig, lateinische Texte in einer Schrift drucken, die an Klarheit und Eleganz fünf Jahrhunderte lang nicht übertroffen wurde. Diese Schrift, ihr Schnitt, ging zurück auf die wunderbare Handschrift von Poggio und seinen humanistischen Freunden. 12 Was Poggio von Hand tun musste, um eine einzige Kopie herzustellen, konnte wenig später mechanisch geschehen, und war ein Text erst gesetzt, ließen sich leicht einige hundert Kopien produzieren.
Noch aber lagen diese Errungenschaften in der Zukunft, und auch später dann waren die Drucker, wollten sie ein Buch setzen, auf genaue,
gut lesbare handschriftliche Kopien angewiesen, denn es handelte sich dabei nicht selten um Schriften, die ihrem Inhalt nach nur ganz wenigen verständlich waren.
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