Wende
erklärte man ihm, seien die Bücher, mit denen die Rechte des Bistums errungen worden seien, und mit ihnen müsse man sie auch verteidigen. 16 Sehr häufig werden die Bewohner reicher Klöster wohl nicht zu den Waffen gerufen worden sein, doch wenn sie in ihren düsteren Räumen hockten und über den Einnahmen des Klosters brüteten, wussten sie – wie ihre Pächter und Hintersassen auch –, dass Mittel roher Gewalt bereitstanden.
Schon mit seinen Freunden in der Kurie hatte sich Poggio lustig gemacht über Käuflichkeit, Dummheit und sexuelle Gier von Mönchen. Mochten sie andere zur Gottesfurcht anhalten, Poggio beeindruckte das nicht: »Ich sehe nicht, dass sie irgendetwas anderes tun als singen wie die Grillen«, schrieb er, »und ich kann mir nicht helfen, aber dafür, dass sie nichts anderes tun, als ihre Lungen zu üben, werden sie einfach zu freigebig bezahlt.« Selbst die großen Mühen der klösterlich-geistlichen Disziplin erschienen ihm läppisch im Vergleich zur harten körperlichen Arbeit, die er auf den Feldern beobachtete:
Sie übertreiben ihre Mühen, als seien es die zwölf Arbeiten des Herakles, dabei tun sie nichts anderes, als sich des Nachts von ihrem Lager zu erheben, um das Lob Gottes zu singen. Es ist zweifellos ein außergewöhnlicher Beweis für ihre Verdienste, dass sie aufrecht sitzen und sich im Psalmodieren üben. Was würden sie sagen, wenn sie aufstehen müssten, um den Pflug zu führen wie die Bauern, dem Regen und dem Wind ausgesetzt, mit nackten Füßen und den Leib nur in dünne Lumpen gehüllt? 17
Eine Übung in Scheinheiligkeit, mehr vermochte er darin nicht zu sehen. Näherte er sich aber einem Kloster, verschloss Poggio solche Gedanken in seiner Brust. Er mochte das klösterliche Leben verachten, aber er kannte es auch, wusste, wohin in einem Kloster er sich zu wenden hatte und welche verpflichtenden Worte er sprechen musste, damit man ihm Zugang zu den Dingen gewährte, die er unbedingt sehen wollte. Vor allem wusste er genau, wie das, was er suchte, hergestellt worden war. Mochte er verspotten, was er den klösterlichen Schlendrian nannte, er wusste auch, dass es die Objekte seiner Begierde, die Bücher und Handschriften, die er zu finden hoffte, nur deshalb gab, weil die Klöster und ihre Insassen dafür gesorgt hatten: mit jahrhundertelanger Hingabe und akribischer Arbeit.
Denn die Benediktusregel hatte den Mönchen neben Gebet und Lektüre auch Handarbeit vorgeschrieben, und stets hatte das Schreiben als körperliche Arbeit gegolten. Die frühen Gründer der Mönchsorden haben das Kopieren nicht als eine in irgendeinem Sinn höhere Tätigkeit betrachtet, im Gegenteil. Schließlich wussten sie, dass die meisten Abschriften in
der Antike von gebildeten Sklaven angefertigt worden waren. Die Aufgabe war erniedrigend und auch ermüdend, insofern perfekt geeignet für das asketische Unterfangen, den Geist zu disziplinieren. Poggio selbst hatte für spirituelle Zucht wenig übrig; seinen Geist, wetteifernd und ehrgeizig wie er war, verlangte es danach, im Licht der Welt zu glänzen und nicht vor ihrem Blick zu schrumpfen. Für ihn war das Kopieren von Texten, dem er sich mit unerreichtem Geschick widmete, kein asketisches, sondern ein ästhetisches Unterfangen; eine Möglichkeit, seinen persönlichen Ruhm zu befördern. Dank seiner Fähigkeiten konnte er mit einem Blick – mal bewundernd, mal verächtlich – abschätzen, wie viel Mühe und Fertigkeit in der Handschrift steckten, die vor ihm lag.
Nicht jeder Mönch zeigte beim Kopieren das gleiche Geschick, so wie nicht jeder der harten Landarbeit gewachsen war, der Lebensgrundlage früher Klostergemeinschaften. Schon die ersten Regelwerke sahen eine Arbeitsteilung vor. So heißt es zum Beispiel in der Regel des heiligen Ferreol (530–581), eines französischen Benediktinermönchs: »Wer die Erde nicht mit einem Pflug umbrechen kann, der soll das Pergament mit seinen Fingern beschreiben.« (Auch das Gegenteil galt natürlich: Wessen Finger nicht zum Schreiben taugten, der wurde zum Pflügen auf den Acker geschickt.) Und wer besonders schön schrieb – in feiner klarer Handschrift, die andere Mönche leicht lesen konnten – und äußerste Sorgfalt in der Übertragung zeigte, genoss zunehmend Ansehen. Im »Wergeld«-Kodex, der für die deutschen Länder und für Irland festlegte, was als Sühnegeld für einen Mord zu zahlen war – zweihundert Schillinge für einen erschlagenen Knecht, dreihundert für einen
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